Druselturm

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Der Druselturm in Kassel, Turm der mittelalterlichen Stadtbefestigung.

Blick vom Martinskirchturm zum Druselturm 1915. Gemälde von Ernst Metz 1973. -- E. C. Metz, Stadt und Land im Zauber der Vergangenheit (1976), Tafel 25; hier: Archiv Harald Metz, Bickenbach.
Der Druselturm. Federzeichnung von Georg Zimmer. -- Gustav Wentzell: Lieb Heimatland (1919), S. 63.
Druselturm, 1921. Federzeichnung von Ernst Metz. -- E. Metz, Alt-Cassel (1922), Taf. 15; hier: Archiv Harald Metz, Bickenbach.

Inhaltsverzeichnis

Geschichtliches

„Der Druselturm […] [ist] als einziger Turm aus der mittelalterlichen Stadtbefestigung im Mauerwerk völlig erhalten geblieben. Er war 1415 erbaut und erhielt seinen Namen von der neben ihm befindlichen ‚Druselpforte’, durch die das für die Stadt lebenswichtige Druselwasser einfloß und den hier gelegenen Feuerteich speiste.“[1] Der zur Verteidigung der Stadt erbaute und innen sicherlich dementsprechend eingerichtete Turm hat nachmittelalterlich bis ins 18. Jahrhundert nur noch als Gefängnis gedient. Die Gefangenen wurden teilweise in einem 15 Fuß tiefen Kellerraum untergebracht, in den sie an Stricken hinuntergelassen werden mußten, teilweise „auch in den darüber befindlichen Räumen […], im ganzen fünf Etagen, die miteinander durch steile Wendeltreppen verbunden“ waren. „Der Druselteich wurde als Strafmittel mit herangezogen; auf demselben wurden die Verurtheilten auf den Schandkörben ausgesetzt bezw. gewippt. […] Nachdem der Druselthurm bis fast zum Ende“ des 18. Jahrhunderts „zur Verwahrung von Gefangenen der verschiedensten Art gedient hatte, wurde er“ im 19. Jahrhundert „zu einem friedlichen Zweck benutzt, indem er nach Anlegung von Feuerheerden gleicher Erde und Schornstein durch alle Etagen von verschiedenen Metzgern zum Räuchern von Fleischwaaren benutzt wurde.“[2] „Mit der Zeit war er gänzlich in den Besitz des Staates gekommen, ging aber 1872 wieder in das Eigentum der Stadt über. In der Nacht zum 10. April 1905 entstand im unteren Raum, wo Kisten, Stroh und Makulatur aufbewahrt wurden, ein Feuer, das das Holzwerk im Inneren und das Dach völlig zerstörte. Der Abbruch des Turmes, der danach zur Beratung stand, wurde mit nur ,einer‘ Stimme Mehrheit abgelehnt. Im Frühjahr 1906 fand die Wiederherstellung des Turmes statt; dabei wurde die ursprüngliche Form des Kegeldaches mit drei Erkern so, wie sie sich übereinstimmend auf alten Stichen darstellt, wieder übernommen. Nach abermaligem Brand im 2. Weltkrieg ist er heute wieder mit einfachem Kegeldach versehen.“[3]

Druselteich und Druselwasser

Der Druselteich befand sich an der Stelle des späteren Druselplatzes. Er war Feuerlöschteich, sein ausfließendes Wasser diente zur Reinigung der Gassen. Der Teich wurde durch das Druselwasser gespeist, das, wie auf dem Stadtplan von Michael Müller 1547 zu erkennen ist, im 16. Jahrhundert mittels einer offenbar schmalen, sicherlich hölzernen Rinne über den Stadtgraben in die Stadt geführt wurde. 1791 wendet sich der Kasseler Polizeidirektor in einem Avertissement „gegen das Ausschütten der [...] Urintöpfe aus den Fenstern und des Unflats in die Drusel.”.[4] Die Anordnung war wohl wenig erfolgreich, denn 1826 heißt es: Die Altstadt „ist vortrefflich gepflastert und die Straßen werden durch die Druseln [!], die zur Nachtzeit geöffnet werden, durchaus rein erhalten und aller Unrath, selbst der der heimlichen Gemächer in die Fulda abgeführt.“[5] 1836 wird das Druselwasser bezeichnet als „die Drusel“, ein „Bächlein, das unscheinbar durch die Stadt in die Fulda hinabrieselt“.[6] 1919 – der Druselteich war inzwischen verschwunden – heißt es bei Wilhelm Lüttebrandt rückblickend: Das aus dem Teich ausfließende Druselwasser wurde „von hier durch die Druselgasse in einer durch die Mitte der Gasse geführten Rinne“ abgeleitet. „Kehrricht wurde einfach in dies Wasser geworfen, das ihn fortsspülte. Die Jungen ,druselden', d. h. sie suchten mit einem spitzen Holz oder einem Nagel zwischen den Pflastersteinen nach Gegenständen, die aus Versehen mit dem Kehrricht weggeworfen waren. Wer Glück hatte, fand auch Geld. Daher die Bezeichnung aufdruseln, nach langem Suchen finden.“[7]

Exkurs: Die doppelte Bedeutung von „Drusel“[8]

August Vilmars „Idiotikon von Kurhessen“ (1868) gibt an: „Drusel fem., ist in Althessen, besonders in Niederhessen, die Benennung der in den Straßen der Städte befindlichen Rinnsteine, Goßen. Der Name rührt von dem Flüßchen Druse (Drusel) her, welches durch die Rinnsteine in Kassel geführt wird, um dieselben zu reinigen. Daher wurden die Rinnsteine in Kassel [. . .] Druseln genannt, und dieser Name ist [. . .] auf die Rinnsteine anderer Städte übertragen worden“.[9] Das in Althessen mehrfach vorkommende Wort Drusel in der Bedeutung „Rinnstein, Gosse“, z. B. in Gudensberg[10], ist keineswegs nur städtisch, wie Vilmar angibt, es gibt es auch auf dem Lande. Fritz Hofmann[11] gibt 1926 für Oberellenbach bei Rotenburg Drusel als Dialektwort mit der Bedeutung „Morast, Sumpf" an. Ein Nebenbach der Mülmisch bei Röhrenfurt heißt Drüsel-Graben. Der kundige August Grassow, der sonst mit Herleitungsideen nicht spart, gibt in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts für das Kasseler Dialektwort Drusel die Bedeutung „Straßengosse, Rinnstein“ an.[12] Mit dem Bachnamen verknüpft er Drusel nicht, und das wohl zu Recht.

Das Dialektwort Drusel „Gosse, Morast“ und der gleichlautende Bachname sind – etymologisch gesehen – sicherlich identisch, das heißt, sie haben denselben Ursprung. Sie müssen sich aber nicht voneinander ableiten lassen; eher ist eine unabhängige Entwicklung anzunehmen.

Wort und Name gehen zurück auf die indogermanische Wurzel *dreu- „laufen, trippeln, rinnen“, die im Germanischen unterschiedlich produktiv geworden ist. Mit Dentalerweiterung gehören hierzu z.B. treten, trotteln, engl. trade „Handel“, mit s-Erweiterung ostfries. trüseln „taumelnd gehen“, westfäl. truseln „langsam rollen“, mittelhochdt. trollen (< german. *truzlon) „sich in kurzen Schritten fortbewegen“. Als Grundbedeutung von Drusel (< Trusel[13]) ist anzunehmen: „kleiner langsam fließender Wasserlauf“. In dieser Bedeutung ist das Wort – vermutlich bereits in germanischer Zeit – zum Bachnamen geworden, was im Hinblick auf den Unterlauf des Baches durchaus verständlich wäre. Im lebendigen Wortschatz entwickelte sich das Appellativum Drusel weiter. Es fand offenbar eine Bedeutungsverschiebung statt zu: „morastiges Rinnsal“, gut geeignet, um dann schließlich auch Rinnsteinbrühe zu bezeichnen.

Der Bach namens Drusel floß und fließt, aus dem Habichtswald kommend, durch Wehlheiden, dann unterhalb des Weinbergs entlang und mündet weit vor der Kasseler Altstadt in die Fulda[14]. Hätte die Drusel den Druselteich gespeist, so hätte sie entweder bergauf geleitet werden müssen oder bereits unterhalb von Wahlershausen „angezapft“ und abgeleitet und sodann über eine Strecke von fast fünf Kilometer nach Kassel geführt werden müssen – kaum wahrscheinlich.

Aus den Erwähnungen des Druselwassers läßt sich schließen, daß der Wasserzulauf zum Druselteich recht gering war: Nur nachts ließ man, zumindest im 19. Jahrhundert, vom Teich Wasser in die Gassen laufen; tagsüber mußte er sich wohl erst wieder füllen. Möglicherweise stammte das Druselwasser aus kleineren Quellen im westlichen Vorfeld der Stadt.

Quellen

  • Balde-Biermer: Medizin in Kassel. Kassel 1973.
  • Grassow, August: Wörterbuch der Kasseler Mundart [1894]. Hrsg. u. erweitert v. Paul Heidelbach. Kassel 1952.
  • Hofmann, Fritz: Niederhessisches Wörterbuch. Zusammengestellt auf Grund der Mundart von Oberellenbach, Kreis Rotenburg (Fulda). (= Deutsche Dialektgeographie, Bd. 19. Marburg 1926.
  • Kassel in alten und neuen Reisebeschreibungen. Ausgewählt von Klaus-Jörg Ruhl. Düsseldorf 1991.
  • Lüttebrandt, Wilhelm: Mäh honn's, mäh kunn's. En bißchen was us vergehnen Zieden. Kassel 1919.
  • Metz, Ernst Christopher: Residenzstadt Cassel. Einführung von Gerhard Seib und Angelika Nold. Kassel 1980. – „Den Bild-Texten liegen die dokumentarschen Ausführungen des Künstlers Ernst Metz zu Grunde.“ (S. 4)
  • v. Schmidt, NN.: Stadt und Festung Kassel im 16. Jahrhundert. Vortrag 1897, in Folgen abgedruckt in Hessenland, hier (unnumerierte) Folge in Nr. 4, 1898, S 44 - 47.
  • Vilmar, August F. C.: Idiotikon von Kurhessen. [Marburg] 1868.

Querverweise

Netzverweise

Anmerkungen

  1. Metz 1980, S. 107.
  2. v. Schmidt 1898, S. 45. – Er zitiert ebd. wörtlich – oben teilweise übernommen – aus einer „Schrift über geschichtliche Entwicklung des Gefängnißwesens, besonders in Hessen, von C. Neuber (Kassel, 1887).“
  3. Metz 1980, S. 107.
  4. Balde-Biermer, Medizin. – In der Quelle dürfte der Plural Druseln gestanden haben: Der Kasseler Polizeidirektor wußte natürlich, daß es sich um ein ganzes System von Druseln handelte, das die Straßen und Gassen durchzog. Die Drusel in der Marktgasse (1842) ist zu sehen auf einem Aquarell von Ludwig Emil Grimm (Blick aus der Grimmschen Wohnung in die Marktgasse).
  5. Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste […]. Bearbeitet von Johann Samuel Ersch und Johann Gottfried Grüber. Leipzig 1826. – Zit. nach: Kassel, Reisebeschreibungen, 1991, S. 120 ff., hier: S. 121.
  6. Franz Dingelstedt: Bilder aus Hessen-Kassel. In: Europa 1836, Bd. 4. – Zit. nach: Kassel, Reisebeschreibungen, 1991, S. 139 ff., hier: S. 141.
  7. Lüttebrandt 1919, S. 139. – „,Wo host de dann das her?' – ,Das honn ich bi so'n Owwenkreebeler' – Ofensetzer – ,uffgedruseld‘.“ Ebd.
  8. Für KasselWiki erstellt von Werner Guth 2012, ergänzt von Guth 2013.
  9. Vilmar 1868, S. 79.
  10. Heinrich Keim (* 1930) teilte mir im April 2013 mit, daß in seiner Jugend in Gudensberg die Redensart bekannt war: „Häh (säh) gigged driewe in de Drusel!“ („Er (sie) guckt trüb in die Drusel!“). Gemeint war mit „Drusel“ die „Winkelbrühe“ („Winggelbrieh“), „die in den schmalen Winkeln zwischen den Häusern der Altstadt bis zum Kanal oberirdisch abfloss. Oft waren die Tonrohre noch sichtbar, die ursprünglich vom ,geheimen Kabinett' herrührten. Allerdings waren die Winkel mit Brettertüren versperrt. [...] Die Gudensberger ,Altstadt-Sanierung‘ hat die mit spezifischem Duft verbundenen, idyllischen Bilder vernichtet.“ Mit „Drusel“ sei wohl nur die Winkelbrühe bezeichnet worden, nicht der Rinnstein („Kannel“), in den sie abfloß. – (Guth)
  11. Hofmann 1926, S. 80.
  12. Grassow [1894], S. 32.
  13. In dieser Form als Bachname mittelalterlich belegt. – Anlautendes t- wurde im Niederhessischen spätmittelalterlich generell zu d-.
  14. Die Aue war ursprünglich eine Insel, gebildet durch den Hauptstrom der Fulda auf der einen Seite und einen Nebenarm, die Kleine Fulda, auf der anderen. Etwa am Mittelteil der Kleinen Fulda lag ursprünglich der Zufluß der Drusel (siehe Stadtpläne von Kassel). Im 18. Jh. wurde der Oberlauf der Kleinen Fulda zugeschüttet. Der Unterlauf blieb erhalten, da er den Abfluß der Drusel aufnahm. Der Name Kleine Fulda ist für diesen auf Bachbreite reduzierten Wasserlauf, der also nur noch durch die Drusel gespeist wird, erhalten geblieben.

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