Kasseler – Kasselaner – Kasseläner

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'''Wörterbuchbelege aus dem 19. Jahrhundert für ''Kasselaner'' und ''Kasseläner'''''
 
'''Wörterbuchbelege aus dem 19. Jahrhundert für ''Kasselaner'' und ''Kasseläner'''''
  
Unter dem Stichwort „Kassel“ schreibt August Vilmar 1868<ref> Vilmar S. 194 f.</ref> in seinem „Idiotikon von Kurhessen“ unter anderem folgendes: „Als Idiotismus bemerkenswert ist, daß die Bewohner von Kassel mit der lateinisch-griechischen Endung Kassel'''aner''' ganz allgemein genannt werden und sich selbst nennen, eine monströse Abnormität, welche jedoch in der Benennung Hannoveraner ihre Parallele hat.“ Den ''Kasseläner'' erwähnt Vilmar nicht. Hingegen führt August Grassow in seinem „Wörterbuch der Kasseler Mundart“, abgeschlossen 1894, nur das Stichwort ''Kasseläner'' auf mit der Bedeutung „Kasseler“. Daß bei ihm der ''Kasselaner'' fehlt, ist einleuchtend: Grassow sammelte Kasseler Mundartausdrücke, ''Kasselaner'' sah er wohl eher als hochdeutsches Wort an, vergleichbar z.B. mit Bildungen wie ''Hannoveraner'' und ''Weimaraner''.
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Unter dem Stichwort „Kassel“ schreibt August Vilmar 1868<ref> Vilmar S. 194 f.</ref> in seinem „Idiotikon von Kurhessen“ unter anderem folgendes: „Als Idiotismus bemerkenswert ist, daß die Bewohner von Kassel mit der lateinisch-griechischen Endung Kassel'''aner''' ganz allgemein genannt werden und sich selbst nennen, eine monströse Abnormität, welche jedoch in der Benennung Hannoveraner ihre Parallele hat.“ Den ''Kasseläner'' erwähnt Vilmar nicht. Hingegen führt August Grassow in seinem „Wörterbuch der Kasseler Mundart“, abgeschlossen 1894, nur das Stichwort ''Kasseläner'' auf mit der Bedeutung „Kasseler“<ref>Grassow S. 48</ref>. Daß bei ihm der ''Kasselaner'' fehlt, ist einleuchtend: Grassow sammelte Kasseler Mundartausdrücke, ''Kasselaner'' sah er wohl eher als hochdeutsches Wort an, vergleichbar mit Bildungen wie z.B. ''Hannoveraner'' und ''Weimaraner''.
  
 
'''Beurteilung der  drei Wörter ''Kasseler'', ''Kasselaner'' und ''Kasseläner'''''
 
'''Beurteilung der  drei Wörter ''Kasseler'', ''Kasselaner'' und ''Kasseläner'''''
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Einen Hinweis zur Erklärung gibt der ältere Sprachgebrauch. Hier seien einige Titel und Untertitel von Büchern bekannter Kasseler Mundartautoren vom Beginn des 20. Jahrhunderts betrachtet: „Casseläner Jungen“, „Kasseläner Geschichderchen“ , „Gedichte in Casseläner Mundart“, „Kasseläner Verzählungen“, „Kasseläner Gauden“ steht „Erinnerungen eines alten Kasselaners“, „Erlebnisse … eines alten Casselaners“ gegenüber. Der unterschiedliche Sprachgebrauch erscheint nicht willkürlich. Offenbar wird bei der Bezeichnung des Einwohners von Kassel der Begriff ''Kasselaner'' bevorzugt, er ist Substantiv, wohingegen ''Kasseläner'' meist attributiv steht, sozusagen als unveränderliches Adjektiv.
 
Einen Hinweis zur Erklärung gibt der ältere Sprachgebrauch. Hier seien einige Titel und Untertitel von Büchern bekannter Kasseler Mundartautoren vom Beginn des 20. Jahrhunderts betrachtet: „Casseläner Jungen“, „Kasseläner Geschichderchen“ , „Gedichte in Casseläner Mundart“, „Kasseläner Verzählungen“, „Kasseläner Gauden“ steht „Erinnerungen eines alten Kasselaners“, „Erlebnisse … eines alten Casselaners“ gegenüber. Der unterschiedliche Sprachgebrauch erscheint nicht willkürlich. Offenbar wird bei der Bezeichnung des Einwohners von Kassel der Begriff ''Kasselaner'' bevorzugt, er ist Substantiv, wohingegen ''Kasseläner'' meist attributiv steht, sozusagen als unveränderliches Adjektiv.
  
Es gibt zu Kassel die alte Adjektivbildung ''kasselänisch'' (dialektal ''kasselänsch'') abgeleitet von ''Kasselan-er'', neuerdings wieder aufgegriffen von Axel Herwig. Die Endung ''-isch''  bewirkt regulär Umlaut, vgl. z.B. ''Franke'' – ''fränkisch'', ''Sachse'' – ''sächsisch'', ''Franzose'' – ''französisch''. Das -''ä''- des adjektivischen ''kasselän(i)sch'' ist ganz offensichtlich auf  ''Kasselaner'', sofern adjektivisch gebraucht, übertragen worden und ergab die Form ''Kasseläner''.
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Es gibt zu Kassel die alte Adjektivbildung ''kasselänisch'' (dialektal ''kasselänsch''<ref>Grassow S. 48: ''kasselänsch'' "
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„kasselisch“.</ref>) abgeleitet von ''Kasselan-er'', neuerdings wieder aufgegriffen von Axel Herwig. Die Endung ''-isch''  bewirkt regulär Umlaut, vgl. z.B. ''Franke'' – ''fränkisch'', ''Sachse'' – ''sächsisch'', ''Franzose'' – ''französisch''. Das -''ä''- des adjektivischen ''kasselän(i)sch'' ist ganz offensichtlich auf  ''Kasselaner'', sofern adjektivisch gebraucht, übertragen worden und ergab die Form ''Kasseläner''.
  
 
Der Bedeutungsunterschied zwischen ''Kasselaner'' und ''Kasseläner'' ist offensichtlich im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten. So konnten die zwei Begriffe als gleichwertig und austauschbar erscheinen, ''Kasseläner'' – sicherlich wegen der größeren Abweichung vom Hochdeutschen – dann sogar als dialektgemäßer. Erst jetzt konnte jener Sprachscherz entstehen, um den es hier geht. - (Guth)
 
Der Bedeutungsunterschied zwischen ''Kasselaner'' und ''Kasseläner'' ist offensichtlich im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten. So konnten die zwei Begriffe als gleichwertig und austauschbar erscheinen, ''Kasseläner'' – sicherlich wegen der größeren Abweichung vom Hochdeutschen – dann sogar als dialektgemäßer. Erst jetzt konnte jener Sprachscherz entstehen, um den es hier geht. - (Guth)

Version vom 6. Juli 2012, 17:34 Uhr

Ein Sprachscherz

„Kasseler ist jemand, der in Kassel zugezogen ist, Kasselaner ist jemand, der in Kassel geboren ist, und Kasseläner ist jemand, dessen Eltern bereits in Kassel geboren sind.“

Diese scherzhafte definitorische Feststellung ist in unterschiedlichen Formulierungen seit Jahrzehnten in Kassel geläufig.[1] Trotz aller Bemühungen konnten Herkunft und Alter dieses Sprachscherzes bisher nicht festgestellt werden. Er dürfte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgekommen sein, kaum früher.

Wörterbuchbelege aus dem 19. Jahrhundert für Kasselaner und Kasseläner

Unter dem Stichwort „Kassel“ schreibt August Vilmar 1868[2] in seinem „Idiotikon von Kurhessen“ unter anderem folgendes: „Als Idiotismus bemerkenswert ist, daß die Bewohner von Kassel mit der lateinisch-griechischen Endung Kasselaner ganz allgemein genannt werden und sich selbst nennen, eine monströse Abnormität, welche jedoch in der Benennung Hannoveraner ihre Parallele hat.“ Den Kasseläner erwähnt Vilmar nicht. Hingegen führt August Grassow in seinem „Wörterbuch der Kasseler Mundart“, abgeschlossen 1894, nur das Stichwort Kasseläner auf mit der Bedeutung „Kasseler“[3]. Daß bei ihm der Kasselaner fehlt, ist einleuchtend: Grassow sammelte Kasseler Mundartausdrücke, Kasselaner sah er wohl eher als hochdeutsches Wort an, vergleichbar mit Bildungen wie z.B. Hannoveraner und Weimaraner.

Beurteilung der drei Wörter Kasseler, Kasselaner und Kasseläner

1) Kasseler ist gewissermaßen die Normalform, sowohl hochdeutsch als auch mundartlich[4]. Sie bedarf keiner weiteren Erläuterung.

2) Kasselaner und ähnliche Bildungen gehen auf den im Mittelalter lateinisch bestimmten Sprachgebrauch in Urkunden und anderen Schriftstücken zurück Ein Einwohner von Cassel war ein civis Casselanus. Die lateinische Endung -anus, die eine Zugehörigkeit ausdrückt, wurde – leicht eingedeutscht – vielfach als -aner übernommen, so etwa auch in den Bezeichnungen der Ordenszugehörigkeit Dominicanus > Dominikaner, Franciscanus > Franziskaner.

3) Kasseläner ist dejenige der drei Begriffe, der tatsächlich erklärungsbedürftig bleibt. Denn das Umlaut-ä erklärt sich weder aus dem Hochdeutschen noch durch ein Lautgesetz des Niederhessischen, zu dem die Kasseler Mundart gehört.

Einen Hinweis zur Erklärung gibt der ältere Sprachgebrauch. Hier seien einige Titel und Untertitel von Büchern bekannter Kasseler Mundartautoren vom Beginn des 20. Jahrhunderts betrachtet: „Casseläner Jungen“, „Kasseläner Geschichderchen“ , „Gedichte in Casseläner Mundart“, „Kasseläner Verzählungen“, „Kasseläner Gauden“ steht „Erinnerungen eines alten Kasselaners“, „Erlebnisse … eines alten Casselaners“ gegenüber. Der unterschiedliche Sprachgebrauch erscheint nicht willkürlich. Offenbar wird bei der Bezeichnung des Einwohners von Kassel der Begriff Kasselaner bevorzugt, er ist Substantiv, wohingegen Kasseläner meist attributiv steht, sozusagen als unveränderliches Adjektiv.

Es gibt zu Kassel die alte Adjektivbildung kasselänisch (dialektal kasselänsch[5]) abgeleitet von Kasselan-er, neuerdings wieder aufgegriffen von Axel Herwig. Die Endung -isch bewirkt regulär Umlaut, vgl. z.B. Frankefränkisch, Sachsesächsisch, Franzosefranzösisch. Das -ä- des adjektivischen kasselän(i)sch ist ganz offensichtlich auf Kasselaner, sofern adjektivisch gebraucht, übertragen worden und ergab die Form Kasseläner.

Der Bedeutungsunterschied zwischen Kasselaner und Kasseläner ist offensichtlich im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten. So konnten die zwei Begriffe als gleichwertig und austauschbar erscheinen, Kasseläner – sicherlich wegen der größeren Abweichung vom Hochdeutschen – dann sogar als dialektgemäßer. Erst jetzt konnte jener Sprachscherz entstehen, um den es hier geht. - (Guth)

Literatur

  • Herwig, Axel: Kasselänisch von A bis Z. Ein Wörterbuch der Kasseler Mundart. Kassel 1977.
  • Vilmar, August Friedrich Christian: Idiotikon von Kurhessen. Marburg u. Leipzig 1868.

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Von Axel Herwig 1977 in sein Wörterbuch der Kasseler Mundart „Kasselänisch von A bis Z“ (S. 66 f.) aufgenommen. Inzwischen auch mehrfach ins Internet gestellt.
  2. Vilmar S. 194 f.
  3. Grassow S. 48
  4. Vgl. etwa das bekannte „Kaßler Wertchen“ (Kasseler Wörtchen).
  5. Grassow S. 48: kasselänsch " „kasselisch“.
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