Als Kassel noch en kleines Nest

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Version vom 27. Dezember 2012, 14:50 Uhr


Gustav Weber

Lied in Kasseler Mundart von Gustav Weber (1842 – 1917), Text entstanden vermutlich in den 1880er Jahren, anonym veröffentlicht 1913 im Kasseler Tageblatt, zu singen nach der Melodie des Kreuzfidelen Kupferschmieds[1]; ist auch bekannt als Kassel-Lied.

Inhaltsverzeichnis

Text


Als Kassel noch en kleines Nest, das äss schunt lange her


Als Kassel noch en kleines Nest, das äss schunt lange her,
De „Fulda" damals „Fulle" hieß, das weiß me heit nit mehr,
Ne Wasserleitung gab's noch nit, wie jetz in jedem Huss,
Zum Wasserholen mußte dann d's Karline owends nus.


Am zweiten Pingstdag, wie bekannt, do ging's noh Wihelmsheh,
Elektrische, die gab's noch nit, ze Fuß ging's in de Heh.
De „Ahle" wurde mitgeschleift, se machte korzen Schritt,
De Kinner brachten Leiwerchen un Frikadellen mit.


De Wecke waren friehrer Zitt gerad nochmoh so groß,
Gewogen sinn se domols nit, es ging noh ahlem Moß.
„Bariser" gab's biehm Buchenhorst, vor'n Silwergroschen drei,
De Bäckerdaxe machte doch noch unse Bollezei.


En Schwinnehirt gab's frieher noch, den Ahlen wohl bekannt,
Der „Schinkenwillem" wurde hä bieh uns korzweck genannt.
Hä ging mit sinnen Schwinnerchen recht liebedätschig um,
Denn sinne liewen „Kinnerchen", die waren nit so dumm.


Au Druselplanzen gab's bie uns, im Druseldormer Deich,
Von Fischen war zwar nix ze sehn, nur recht vähl Frosche-Leich.
Wann's brennen dahd un's dudede der Nachtwächter vom Dorm,
Dann lief der Druseldeich glich us, un drinne blieb kinn Worm.


Das Reiwernest, de „Kattenborg", do gab's so manchen Feez,
Do kroffen mäh un kledderden, fiel mancher uff'n Deetz.
Mäh rutschden dann un krabbelden bis an das Fehmgerichd,
Un wer sich doh nit hingewagt, der war en armer Wichd.


En jeder Birger schlachdede au domols noch sinn Schwinn,
Bieh'm Schlachden gab's ne Kieweschelle ahlen Branntewinn.
Ne ahle Worschd, die wurde dann en „Dirrer Hund" genannt,
In heit'ger Zidd äs so ne Worschd den meisten nit bekannt.


Au „Eckensteher" gab's bieh uns, am Altmarkt dahden se stehn,
Sä fleezden sich un räkelden, 's war manchmoh nit mehr scheen.
Gemiesenamen hadden se bieh jeden ahngebrachd,
Gälriewe, Gorke, Schnibbelbohn, die stannen vor der Schlagd.


Wann das de seel'ge Dibbenfrau nur eimoh kennde sehn,
Daß jetzt so iwwern Kenigsplatz de Wagen dähden gehn,
Se wirde gahken firchderlich un machen groß Geschrei:
Dä liewen Kinner, fahrt mäh doch de Dibben nit entzwei.


Texterläuterungen[2]

  • Elektrische „elektrische Straßenbahn", im Gegensatz zur früheren Pferde- und Dampfbahn.
  • Leiwerchen (Plural von Laibchen) „Laibchen" („kleine Laibe"), brötchenähnliche Gebäckstücke unterschiedlicher Art: Milchbrötchen, Franzbrötchen, Pariser (Bariser); Abbellaiwerchen: in Teigumhüllung gebackene Äpfel.
  • Schinkenwillem: Schweinehirt, Kasseler Original, wohl Mitte des 19. Jh. Nach mündlicher Überlieferung lockte er peitscheknallend die Schweine der Kasseler auf die Straße; er pflegte die Schweine mit den Namen ihrer Besitzer anzureden. Beim herbstlichen Kleinkrieg mit den Rothenditmoldern führte der Schinkenwillem die Kasseler Streitmacht an.
  • Kattenborg „Chattenburg": volkstümliche Bezeichnung für den bis zum Erdgeschoß aufgeführten und dann aufgegebenen Neubau des Stadtschlosses an der Fulda, das unter König Jerome abgebrannt war (Standort des späteren Regierunspräsidiums).
  • Kieweschelle „Kuhschelle, Schnapsglas"; mittleres Branntweingemäß, entspricht einem Halkännchen („halben Kännchen"). Das größere Maß, also das Kännchen, wurde in einem Fläschchen mit Biesetzegläschen serviert. Das kleinste war ein Wirfchen „Würfchen". Das Wirfchen wurde gezwicket, d. h. „gekippt", also in einem Zug getrunken.
  • Dibbenfrau, die Dibben-Millern: Marie Magdalene Müller (1796 - 1886), Frau und seit 1848 Witwe eines Töpfermeisters, war mit ihrem Stand mit Irdenware ein halbes Jahrhundert lang Wahrzeichen des Königsplatzes.

Webers Sprache

Der Schlesier Gustav Weber war „gelernter" Kasseler. Sein Verständnis der Kassler Mundart basiert sicherlich auf der leicht hochdeutsch, aber auch ländlich durchmischten Umgangssprache, die er in Kassel kennen gelernt hatte, die aber andere Mundartautoren seiner Zeit vermieden.[3] Anzumerken wäre hierzu[4]:

1) Als Kassel (1. Str.) statt Wie Kassel: Das Niederhessische und damit auch das Kasselänsche kennt als nicht als temporale Nebensatz-Konjunktion, sondern nur wie. – 2) äss „ist" (1. Str.) ist ländlich eingefärbte Aussprache von is (es). Hier macht sich die sog. „niederhessische Senkung" bemerkbar (wie auch bei dem angeblichen Kasseler Wörtchen Schäß; richtiger: Schiß). Erklärung hierfür: Der Dialektgebrauch bei den einfachen Leuten (der städtischen Unterschicht) war durch verstärkten Zuzug vom Umland im 19. Jahrhundert z. T. entsprechend eingefärbt.[5] – 3) damals (1. Str.) ist als Druckfehler anzusehen: In der 7. Str. heißt es richtig domols. – 4) bekannt ((2. Str.), genannt (4. Str.) statt bekennt und genennt. – 5) do ging's (2. Str.) statt do gung's. – 6) wurde (2. Str.) statt wurr. – 7) um (4. Str.) statt imme. – 8) Denn (4. Str.) statt Dann. – 9) Deich (5. Str.) statt Dich "Teich"; Deich bedeutet "Teig". – 10) hingewagt (6. Str.) statt hingewogt (bzw. hingewoocht): offenes o wie in Stroße, Bloose. – 11) manchmoh (8. Str.) statt mänchmoh. – 12) stannen (8. Str.) statt stunnen „standen". – 13) kennde (9. Str.) statt kinnde. – 14) dähden (9.Str.) statt dehden; von hochdeutsch täten lautlich beeinflußt. – 15) wirde (9. Str.) statt wirr „würde". Im übrigen ist die Konjunktiv-Umschreibung mit „würde" hochdeutsch; niederhessisch-kasselänsch wird umschrieben mit dehde „täte" (richtig s. Zeile zuvor). – 16) firchderlich (9. Str.) statt firderlich. – 17) entzwei (9. Str.) statt inzwei. –– (Werner Guth 2012)

Nachleben des Liedes

Als Kassel noch en kleines Nest ist Gustav Webers „bekanntestes Lied, dessen Beliebtheit auch dadurch belegt ist, daß es im Lauf der Zeit von andern durch zahlreich Strophen vermehrt wurde".[6] Es wurden auch Strophen weggelassen oder verändert. Eine häufig feststellbare Änderung ist die der ersten Zeile „Als Kassel noch en kleines Nest" in „Als Kassel noch en ahles Nest", was sinnentstellend ist. In welcher Form auch immer – das Lied wird auch heute noch – nach dem Jahre 2000 – in Vereinen und bei Festveranstaltungen gesungen.

Textquelle

  • Heidelbach, Paul: Kasseler Mundartdichter (s. u.): Wiedergabe des Liedtextes S. 11.

Quellen zum Artikel

  • Guth, Werner: Der Kasseler Mundartdichter Gustav Weber. In: Der Mundart-Kurier 9, 2007, S. 8. - Mit Abdruck des Textes nach Heidelbach sowie mit Kommentierung.
  • Heidelbach, Paul: Kasseler Mundartdichter. In: August Grassow: Wörterbuch der Kasseler Mundart. Hrsg. u. erweitert v. Paul Heidelbach. Kassel 1952. S. 6 ff.

Weitere Literatur

  • Hermsdorff, Wolfgang: Ein glänzender Stegreifpoet. Gustav Weber war als Colomus-Präsident stadtbekannt. (Kasseler Deutsch und seine Dichter 6.) In: Hess. Allgemeine v. 14. 12. 1968. - Mit Textwiedergabe, offenbar nach Heidelbach.

Querverweise

Anmerkungen

  1. Heidelbach, S. 10.
  2. Guth 2007.
  3. Z. B. Heinrich Jonas.
  4. Zufolge dem Sprachgebrauch der älteren Kasseler Mundartautoren sowie dem Wörterbuch der Kasseler Mundart von August Grassow.
  5. Jonas z. B. unterscheidet in der Schreibung zwischen es „ist" und äs „es".
  6. Heidelbach, S. 10.
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