Wie ich in'n „Meistersingern" war

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Franz Treller
Was ich me so gedacht hon
(Innentitel, 3. Aufl. 1895)

„Wie ich in’n ,Meistersingern' war“ ist eine Humoreske in Kasseler Mundart von Franz Treller (1839 – 1908), erstmals publiziert 1889.

Inhaltsverzeichnis

Text[1]


Wie ich in’n „Meistersingern“ war


„Ich dhus[2]“, sproch ich – „ich dhus“.

„Vadderchen!“ jammerte minne liewe Frau, „dhus doch nidd. De schwere Musicke bekimmed Dä immer schlechd; dann hoste Kobbweh un so furchtbaren Durscht . . . .“

„Her uff – ich muß als destinkirter Mann henne, un wann ich noch so großen Durscht kriche. Jeder gebildete Mensch muß iwer[3] Wagner sprechen kennen.“

„Du verstehst jo awer nix dervunne.“

„Das äß[4] au nidd nedig, nurd sprechen muß me un so dhun, als ob me was dervunne verstünn[5]. – Ne, ich geh’ in de „Meistersinger“ un den Schorsche nehm’ ich au midde.“

„Ach, du liewer Godd, Heinerich, loß doch das unschullige Kend derheime, he[6] wird jo verdorwen.“

„Mudder“, sproch ich, „so was mußde jetzt als destinkirte Madam nidd mehr sprechen, daß [!] äß keine Bildung. Der Schorsche äß Kwartaner, un der wird’s schon wecken kriechen[7].“

Na, se heilde[8] nu iwwer Schorsche[9] un sinn Verderben, un ’s Enne vum Liede war, me packeten uff un gingen[10] rin, der Schorsche un ich, in die „Meistersinger“. Me hadden uns nadierlich wass midde genummen vor den Fall, daß einem ohliewig[11] weren sullde[12].

Jetzd ging’s nu los. Erschd machden se Musicke, was me Owerdhiere nennt, un dann fungs ahn. Goddverdebbeld, ’s äß doch ’n hibsches Mädchen[13], de Frau Hibbenedden, un se sung so scheene, un der Herr Hibbenedd[14] der machte ähr de Kur[15] awer uß’m ff. Un dann kemmed der Herr Kietzmann[16] als Schusterjunge un midd annern Jungen, un dann machen se allerlei Krom un singen, was kinn Mensche verstehd vun Meistersingern un so. Wie se nu so singen, do kemmed uff eimo Greeff un Schulze[17]. Greef, der hodd immer so was vun owen runner ahn sich, so was ästimirdes, als wenn he sprechen wullde: Dä kenned[18] noch lange nidd ahn mich rahn.“ Schulze der hodd ’ne rothe Nase un well ’n Greeff sin Kend heirathen, was de Frau Hibbenedden äß. Greeff sprichd awer, se mißden Alle drimme singen, un wer am besten singen dhäd, der krichte ’s Kend. Do kemmed Hibbenedd un sprichd, he wullde midde singen, he verständ’s au, un gicked Schulze so vun der Siede ahn.

Jetzd kummen nu alle de Handwerksmeister zesammen un Greeff sprichd ganz vornehme, he wullde sin Kind den[19] gewen, der ’n orndlichen Meistergesang machde, un der Herr Baron Stoltzing der wullde midde singen. Un wie se’s Alle zefrieden sin, do finged Hibbenedd nu ahn un singed so scheene, scheener wie alle Annern. Awer Schulze gefelld’s nidd, un der schimped und dann fangen se sich ahn ze zanken un laufen Alle wecken. Das duerte so annerdhalb Stunnen un ich schwitzte ahn ganzen Liewe. Vor me in der Losche saßen ein baar feine Madamchen. Do sproch die eine: „Ich weiß gar nicht, was Wagner hier gemacht hat. Sehen Sie sich doch einmal den Zettel an, alles Schuster un [!] Schneider u. s. w., nur ein einziger Cavalier. Wagner greift doch sonst seine Figuren aus der guten und besten Gesellschaft, wie Tannhäuser und Lohengrin, das sind doch alles Cavaliere.“

„Ja, ich verstehe ihn auch nicht recht, es sind wohl etwas viel Handwerker im Stück. – Aber finden Sie die Hübbenet nicht reizend?“

„O ja und ihn auch. Kietzmann ist allerliebst.“

„Aber Greeff?“

„Nun wissen Sie, Liebe, Greeff hat immer so etwas kühles.“

„Sagen wir etwas distinguirtes.“

„Aber Blum? welch [!] stattliche Erscheinung?“ [!]

„Sehr stattlich in der That – er gefällt mir. Haben Sie auf das Orchester geachtet?“

„Und wie?“ [!]

„O, diese treffliche Verschlingung unendlicher Tonweisen, dieser Humor im Fagott, in der Piccolo, selbst der Contrabaß ist humoristisch, diese Poesie in der Tuba und im englischen Horn. O Gott!“ Un se gock mit ganz verklärten Augen gen Himmel. Me wurde blimmerand.

„Sie haben Recht, Liebe, das himmlischen Tongewirre entschädigt für die vulgäre Gesellschaft auf der Bühne.“

Nun wurde[20] me’s doch zu dull.

„Godd Madamchen, was ereifern Se sich dann, daß damals[21] de Handwerker Verse gemachd honn, daß [!] kunden de Liede und [!] der Hans Sachs war Schuster un hodd scheene Gedichde gemachd, un das gehd Keinen was ahn.“

Jetzd awer gock mich’s Madamchen vun owen runner ahn, so durch de Lornjette, un sproch: „Sie sind wohl auch Handwerker?“

„Jo, Schrinner, awer en distinkirter.“

„Ich dachte es mir. O ja, für Handwerker ist der Text ja recht schmeichelhaft.“

„Schorsche“, sproch ich, „jetzd sprech Du was. Min Sohn, Oberkwartaner!“

Jetzd fung der ahn: „Dieses ist eine Art Volkspoesie, welche die Römer und Griechen nicht kannten, und welche sich viel besser ausnehmen würde, wenn die Musik nicht störend auf sie eninwirkte, weshalb man nichts davon versteht.“

Jetzd waren die klugen Madamchen awer baff, daß [!] hadden se vum[22] Schorsche doch nidd erwartet. Jo, der Junge hodd’s wecken, der kann au vun Wagner sprechen.

Nu fungs widder ahn. Der Herr Treiber[23] fichelirde[24] midd sin Stock in der Luft rimme, un de Musickanten baßten hellisch uff.

Na, war das awer scheene. Do gicked me in ’ne Schusterwerkstatt rin, un dann kam au Herr Blum, das war Hans Sachs, un setzte sich an’s Fenster un fung ahn zu arweiden un sung derbie awer so scheene, wie nurd je ein Schuster gesungen hodd. Un dann kam de Hibbenedden un sung au midd. – Goddverdowerie, ’s Herze ging ei’m[25] orndlich uff – un hinnerher kam ähr Mann[26] un machde er de Kur un schimpede uff de Meister.

Nu awer kam Schulze midd ’ner Gitarre un will Evchen en Ständchen bringen, awer der Hans Sachs, der finged ganz lude ze gaken ahn, un je mehr sich Schulze ärgert, imme so mehr machd Blum Spektakel[27], un haud midd en Schusterhammer[28] uff sin Leisten, un me honn Alle gelacht, un je duller he gaked, je duller haud Blum druff un singed au, un nu laufen de Liede zusammen, un Schusterjungen, un Gesellen, un der Kietzmann haud uff Schulze los, un dann hauen se alle uff den Schulze, daß das so ’ne Art hodd, Alles durchenanner, so ’ne rechde Schlägerei bis Schulze ußreß.

Min Schorsche, der lachde, daß emme de Thränen iwwer de Backen kuddelden, un ich lachde midde, ob me glich ’n bischen blimmerand zu Muthe war un ich ’n Dröbchen nehmen mußte.

„Welch eine plebejische Scene“, sproch’s Madamchen, „ich begreife Wagner gar nicht, nun, es sind ja Handwerker, diese prügeln sich freilich.“

„Aber die himmlische Instrumentenführung! Wie klingen die Leitmotive so göttlich durcheinander, daß man keines mehr herauserkennt, wie jauchzen die Blechinstrumente und –“

„Komm’, Schorsche – ich wäre ohnmächtig[29], me wunn was knusperen“, sproch ich, in min Kobbe jauchzten au alle meglichen Instrumente. Ich wullde wecken geh’n, denn die Musicke do unnen un de Musicke neben me, das war zu väle.

Wie ich ruß kumme, sprichd der Loschenschließer: „Herr Miller, Se wunn doch nidd geh’n, jetzd wird jo erscht der Frau Hibbenedd der Schuh ahngemessen.“

„Das müssen wir sehen, Papa“, sproch Schorsche.

„So? Na, dann widder rinn!“

Un richdig, im 3. Akt, do kimmed’s Evchen zum Schuster Hans Sachs un sprichd, der Schuh drickde se, un der Schuster der nimmed des Fieschen un fiehlt so d’ran rimme – das duert wohl so ’ne Vierdelstunne lang. Jo, de Schuster – de Schuster, do sinn se immer bih der Hand. Ich wullde, ich kennde au mol Maaß nehmen. Aber [!] scheene war’s.

„Finden Sie nicht, daß Herr Blum etwas lange Maaß nimmt, meine Liebe?“ sproch’s eine Madamchen.

„Nun Liebe, das ist Vorschrift des Dichtercomponisten.“

„Ah so!“

„Papa“, sproch Schorsche – „ich will Schuhmacher werden.“

„Ach so?“ sproch ich au.

Na, ich well’s kurz machen. Hinnerher do kamen nu uff der Wiese alle Gewerke mit Fahnen un Abzeichen, Schuster, Schnieder, Bäcker doher, ’n ahlen Handwerksmann ging’s Herz derbie uff, un dann ging’s nu zum Weddsingen imme’s Evchen. Schulze will immer noch heirathen, un finged ahn ze singen, awer he singed’s falsch – un se lachen, un dann kemmed Hibbened un singed’s richdig un do äß nu der Jubel groß, un d[a]nn kam Greeff mit sinner ganzen Wirde un gab de Hibbenedds zesammen, un do war’s alle un Hibbenedd war der Meistersinger.

Das eine Madamchen awer sproch:

„Es ist doch ein feiner Zug von Wagner, daß er den Cavalier den Sieg davon tragen läßt, ich bin befriedigt.“

Schorsche awer rief begeistert: „Papa, ich werde auch Meistersinger.“

„Kumm ruß – kumm ruß, ’s bringed nix in.“

Un ruß sterzden me, un de Leidmotive klungen noch immer hinner uns her.

Quelle

  • Was ich me so gedacht hon. Erlebnisse, Erinnerungen, Aufzeichnungen u. s. w. eines alten Casselaners nach alten Handschriften herausgegeben von Franz Treller. 3. Aufl. Kassel 1895. S. 25 – 29.

Erläuterungen

Von Werner Guth, erstellt für KasselWiki 2012.

  1. Mundart zu setzen ist für einen Drucker äußerst schwierig. Der Text enthält kleine Fehler, die z. T. erkennbar nicht auf Treller, sondern auf den Setzer zurückgehen.
  2. Treller setzt wie gelegentlich auch andere Kasseler Mundartautoren das zeitgenössische th in dh um; gemeint ist also: „ich thu’s“.
  3. Richtig: iwwer (vgl. weiter unten).
  4. Äß „ist“. Richtiger wäre: is / es. Die Aussprache äß war zwar in Kassel zu hören (durch Zuwanderung vom Umland, wo vielerorts so gesprochen wird), entsprach und entspricht aber nicht der eigentlichen Kasseler Stadtmundart. Vielen Autoren erschien aber offenbar die „deftigere“ Variante äß als dialektgemäßer.
  5. Verstünn (dialektgemäßer: verstinn’) „verstünde“.
  6. Sprich . Treller schreibt auch me, de, se für betontes , , .
  7. Richtig: krichen (mit kurzem i, vgl. oben); wecken krichen „wegkriegen, verstehen“.
  8. Entrundetes hochdeutsches heulte; dialektgemäßer wäre etwa krisch.
  9. In der Mundart Namen eigentlich immer mit Artikel.
  10. Hochdeutsch, zeitgenössisch richtiger: gungen.
  11. Aussprache: ohliewich (Betonung auf oh-) „ohleibig“, d. h. „übel, schlecht“.
  12. Am Hochdeutschen orientiert; Konjunktiv richtiger: sillde.
  13. Richtiger: Mächen.
  14. Adolf von Hübbenet, Opernsänger in Kassel, erwähnt 1883 (Wolfgang Hermsdorff: Ein Blick zurück Nr. 998, Hess. Allgemeine v. 9. 4. 1983), offenbar mit seiner Frau auch noch Jahre später auf der Kasseler Bühne aktiv: Trellers Text dürfte 1889 oder kurz davor entstanden sein.
  15. „Die“ Kur statt „der“ Kur (= franz. le court „Hof“); sinnentstellende Verwechslung durch den fiktiven Ich-Erzähler, den im Französischen nicht bewanderten Schreiner Heinrich Müller; Verwechslung von Treller natürlich absichtsvoll vorgenommen.
  16. Karl Kietzmann, Schauspieler und Sänger in Kassel 1886 – 1907. (W. Hermsdorff: Ein Blick zurück Nr. 540, Hess. Allgemeine v. 19. 5. 1973)
  17. Franz Schulze, Opernsänger in Kassel 1863 – 1895, † 1910. (W. Hermsdorff: Ein Blick zurück Nr. 1254, Hess. Allgemeine v. 29. 10. 1988)
  18. Am Hochdeutschen orientiert; dialektgemäßer: Dä kunnt „Ihr könnt“.
  19. Mit der Artikelform den für dem (Ersatz des Dativ-m durch n) greift Treller eine verbreitete Sprachnachlässigkeit auf, die aber durchaus kein Dialektmerkmal ist. Hier – in betonter Stellung – müßte es statt „korrektem“ dem sogar eher deme (däme) heißen.
  20. Hochdeutsch, richtiger: nu wurr.
  21. Hochdeutsch, richtiger: domols.
  22. Vum mit dialektal korrektem Dativ-m.
  23. Wilhelm Treiber, Kapellmeister in Kassel 1880 – 1899. (W. Hermsdorff: Blick zurück Nr. 680, Hess. Allgemeine v. 17. 4. 1976)
  24. Ficheliren „in unklarer Weise fahrig herumhantieren“.
  25. Ei’m (Kurzform von einem), korrekt mit Dativ-m.
  26. Ans Hochdeutsche angelehnt, richtiger: ähre Mann. Das Possessivpronomen ähre „ihr“ ist im Niederhessischen im Nominativ Singular aller drei Geschlechter unveränderlich, es heißt also: ähre Mann, ähre Frau, ähre Kind. Dasselbe gilt für unse und uche.
  27. Dialektal richtiger: Spidakel.
  28. Dialektal richtiger: Hamer.
  29. Hochdeutsch-schriftsprachlich; richtiger: ohmächtig. Vgl. mittelhochdt. âmaht (Aussprache: amacht), Adj. âmehtec. Âmaht entwickelte sich im Mitteldt. regulär zu Omacht. Die Umdeutung zu Ohn-macht hat keine Entsprechung im Niederhessischen.

Querverweise

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