Schnercheln und Kerksen – Ein noch immer ungelöstes Sprachrätsel

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Von Werner Guth


1886 gab Hermann von Pfister seine „Mundartlichen und stammheitlichen Nachträge zu A. F. C. Vilmar’s Idiotikon von Kurhessen“ [1868] heraus. Pfister war ein genauso fleißiger Sammler wie Vilmar, sticht jedoch von diesem ab durch seine verschrobene, altertümelnde Sprache, durch seinen die Grenzen zur Komik oft überschreitenden hessisch-chattischen Stammespatriotismus, beides gewürzt mit spezifisch nordhessischem Scharfsinn. Es ist ein Vergnügen, ihn zu lesen – er war ein begnadeter Meister des unfreiwilligen Humors.

Schnercheln

Schnercheln oder kerksen die zwei?

Pfister schreibt zu dem Lexikon-Stichwort „schnercheln“: „Da, wo die wahre Heimat niederhessischer Mundart anzunehmen ist – schrieb vor länger denn einem halben Jahrhunderte mein Vater – stößt man auch noch heute auf eine Eigentümlichkeit der Aussprache, die nicht lediglich in der Feßel der Örtlichkeit beruhet. Diß ist das so genannte Schnercheln: ein Ton, der mit keinem Worte bezeichnender geschildert werden möchte, und seine organische Ursache in der Beschaffenheit des Kehlkopfs haben muß. Mit zunehmenden Jahren, bei eintretender Reife, entwickelt sich diese Sonderbarkeit bei beiden Geschlechtern, sogar in der Fremde gänzlich von der Heimat geschieden; verliert sich aber in späterem Lebens-Alter allmählich wieder. So habe ich selber bemerket, wie junge Burschen aus jenen Gegenden, die kaum mit leisem Anklange an den Sprachton ihrer Heimat, etwa zu Rinteln, Karlshafen, Hofgeismar in den Heeres-Dienst traten, abgesondert von Heimat-Genoßen, und nur umgeben von anders lautenden, niedersächsischen Zungen, nach Verlaufe eines Jahres den aüßersten Grad des Schnerchelns erreichten. – Das war um das Jahr 1820. Ich füge hinzu {d.h.: den Ausführungen des Vaters]: Von Spangenberg bis Dickershausen, von Dissen bis gen Rotenburg herrscht dieser, heute rasch schwindende Sprachton noch an Entschiedenstem. Offenbar war er einst unserem ganzen Volks-Stamme gemein. Wie ich das Schnercheln in meiner Kindheit hörte und nachahmte, ist es ein Sprechen in überaus hoher, mit eigenartigem Schnarren, Kerksen der ‚r‘, sowie zugleich auslautendem Jotieren aller Vokale [d.h. Hinzufügen eines ‚i‘]. [...] Wie ich z.B. den Satz ‚uinse Oirheolzir sën~ nit gerôhre‘ habe aussprechen gehört und nachgesprochen, vermöchte ich es heute nimmer.“

Kerksen

Zum Stichwort „kerksen“ schreibt Pfister: „kerksen, kerren, jenes am Westerwalde, dieses bei St. Goar, soll lautmahlend eine gewisse Art der Wiedergabe des ‚r‘ ausdrücken, die ursprünglich eine physiologische Eigentümlichkeit des chattischen Stammes gewesen scheinet, heute sich aber nur noch hie und da in unserem Gebiete findet; z.B. bei Braubach, Medenbach, Herborn, Spangenberg, Rotenburg. Enge darmit zusammen hanget jenes auslautende Jotieren der Vokale, was allerdings auch ripuarisch ist: Goit, dainse, Kloister, gëiwe = Gott, tanzen, Kloster, geben.“

Noch lebendig?

Quirinus Quiddenbaum, ein später Nachfahre Hermann v. Pfisters, hat in Lorenz Landsiedels nordhessischer Dialekt-Chronik „Schwarz uff wiß“ 1995 Kundige dazu aufgerufen (S. 175), ihm mitzuteilen, ob sich das Schnercheln [und Kerksen] möglicherweise im ein oder anderen hessischen Dorf bis heute erhalten hat. Trotz zahlreicher Zuschriften an ihn bekam er keine diesbezügliche Post.

Welcher Leser des „Mundart-Kuriers“ weiß etwas und kann Hinweise geben?


Quelle

  • Guth, Werner: Schnercheln und Kerksen – Ein noch immer ungelöstes Sprachrätsel. In: Der Mundart-Kurier – Mitteilungen der Gesellschaft für Nordhessische Mundarten, Nr. 1, 2004, S. 4.

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