Nordhessische Orte in Redensarten

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Werner Guth

Von Werner Guth


Kassel

Gelegentlich werden in Nordhessen Kinder freundlich gefragt: „Soll ich dir mal Kassel zeigen?“ Hermann v. Pfister (Vilmar, Idiotikon II, S. 126) schreibt dazu 1886: „Man hebt zum Spaß Kinder hoch, indem man ihren Kopf bei den Ohren zwischen die Hände nimmt, um ihnen angeblich ,Kassel zu zeigen‘.“ Die Folgen sind schmerzhaft. In Kassel, wo man Kassel natürlich nicht gut zeigen kann, wurde in meiner Kindheit auf diese Weise der Herkules gezeigt. Sehr bekannt ist das geflügelte Wort „Ab nach Kassel!“ Nicht die einzige, aber die wohl populärste Erklärung dafür ist folgende: Im deutsch-französischen Krieg 1870/71 wurde nach der Schlacht bei Sedan Kaiser Napoleon III. gefangen genommen. Seine Gefangenschaft verbrachte er auf Schloß Wilhelmshöhe bei Kassel. Als der Extrazug, mit dem er dorthin befördert wurde, in Aaachen hielt, soll dem Kaiser von der dortigen Bevölkerung auf dem Bahnhof spöttisch zugerufen worden sein: „Ab nach Kassel!“


Körle

In Oberellenbach gibt oder gab es die Redensart „Hä (bzw. es) macht Spoß wie de Mäd [Magd] von Kerle, die hott den Äsel mit der Mestgowel jeketzelt.“ (Fritz Hofmann, Niederhess. Wörterbuch, 1926, S. 276) Zum Körler Esel siehe „Dos Kerlsche Ketzelgeld“ und „Der Kerlsche Esel un de Bortenwetzer“ in Wilhelm Pfeiffers „Der gelöffelte Frühschoppen“ [Melsungen 1965], S. 11; neuerdings: Karin Werner, „Wie der Körler Esel in den Wilden Westen kam“, Körle 2004.


Zwehren

Über einen geschwätzigen Menschen sagt man hier und da: „Hä kann reden wie der Parr von Zwähren.“ Eine Erklärung dafür ist mir nicht bekannt geworden.


Besse

Eine Redensart in alter Zeit war: „,Ich muß‘, sprach die Braut von Besse.“ Ihre (angebliche) Entstehung teilt Kirchhoff in „Wendunmut“ um 1600 mit: Auf einer Hochzeit in Besse soll die Braut, der nach altem Brauch am Ende des Festessens die Geschenke überreicht werden sollten, zuvor aufgestanden sein, um wegzugehen. Gefragt warum, soll sie lauthals verkündet haben, sie müsse gehen und pissen, auch wenn sie ihr Lebelang keinen Heller geschenkt bekäme.


Grifte

In Nordhessen weitverbreitet ist die Redensart „Du bist wohl von Grifte?“, „Hä (sä) es von Grifte“ u. ä. zur Andeutung von geistiger Schwerfälligkeit. Eine Erklärung für die Redensart kenne ich nicht. Folgendes wäre denkbar: Es gab im Mittelhochdeutschen das Substantiv diu grift, Dativ: der grifte, mit der Bedeutung ‚das Greifen, das Begreifen‘. Über jemanden, der schwer von Begriff war, konnte damals, entsprechend unserer gegenwärtigen Redensart, vielleicht gesagt werden, daß er schwer von grifte sei (oder ähnlich). Das könnte angesichts des gleichlautenden Ortsnamens zu humoristischem Weiterspinnen verleitet haben. Die vermutete ursprüngliche Doppeldeutigkeit wäre natürlich mit dem Erlöschen des Wortes grift verloren gegangen. Übertragungen solcher Art sind durchaus feststellbar. Es gibt im Niederhessischen den Ausdruck Metzenkopp ‚Dickkopf‘. Dazu Vilmar (Idiotikon I, 1868): „Metzkopf, buchstäblich: einer der einen Kopf, dick wie eine Metze hat“. Eine Metze ist ein Getreidemaß. Hier ist mit Händen zu greifen, wie die Metzer zu ihrem Spitznamen „Dickköppe“ gekommen sind. Aber Spitznamen sind keine Redensarten, sie sind ein Kapitel für sich. Eine ganze Anzahl solcher Ortsspitznamen mit zugehörigen Erklärungsgeschichten finden sich in Heinrich Keims „Quer durch den Garten“, Gudensberg 2008, S. 51 ff.


Quelle

  • Guth, Werner: Nordhessische Orte in Redensarten, In: Der Mundart-Kurier (Mitteilungen der Gesellschaft für nordhessische Mundarten) 16, 2009, S. 12.


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