Schinken-Wilhelm

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Der Schinken-Willem, Schweinehirt, Kohlen- und Schneeschipper in Kassel, Mitte des 19. Jahrhunderts, Kasseler Original.

Inhaltsverzeichnis

Erwähnungen

Paul Heidelbach 1952:

„Von allen Kasseler Originalen hat sich der ,Schinken-Willem‘ am längsten in der Erinnerung behauptet. Liegt doch seine Wirksamkeit um rund ein Jahrhundert zurück. Wir können uns also nur auf Gewährsmänner berufen. Er war der Schweinehirt für die Bewohner der Müllergasse und Umgegend. In zerlumptem, blaue[m] Kittel und mit schnapsgerötetem Gesicht lockte er mit der Peitsche knallend die Schweine aus den Häusern, die er alle mit den Namen der Besitzer anredete. Bei dem herbstlichen Kleinkrieg mit den Rothenditmolder Jungen war er Anführer der Kasseler Streitmacht. Ob er wirklich den Namen Schinken führte oder ob dieser in Beziehung zu seinem Beruf stand, läßt sich heute schwerlich noch feststellen.“[1]

Der Brink 1835. Gemälde von Ernst Metz 1969.
v. Waitz'sches Haus 1842. Gemälde von Ernst Metz 1958/59.

Jeanette Bramer 1895:

„Wo auch im Straßenleben Kassels irgend etwas Besonderes sich ereignete, konnte man sicher sein, diesem merkwürdigen Individuum zu begegnen, sei es: an Markttagen auf dem Königsplatz oder Brink, bei Streitigkeiten der Straßenjugend, oder während der Messe –, immer wußte sich Wilhelm Schinken[2] geltend zu machen. Seine[m] ureigentlichen Berufe nach war er Kohlen- und Schneeschüpper.

Einmal zu Anfang der fünfziger Jahre[3] sollte von Hanusch’s Garten aus ein Luftballon aufsteigen. Bis nun der Ballon zu seiner Reise vorbereitet war, hielten einige Männer ihn an starken Seilen fest. Plötzlich erhob sich das Luftschiff hoch empor, und ein erschrecktes Rufen ertönte. An einem der Stricke, die an der Gondel herabhingen, klammerte ein Mann, der jedenfalls nicht zur rechten Zeit das Seil losgelassen hatte und nun in schrecklicher Lage zwischen Himmel und Erde schwebte. Der Ballon streift zum Glück nun das Dach des v. Waitz’schen Hauses, und konnte sich dadurch der unfreiwillige Luftsegler retten. Bald nachher erschien er wohlgemuth unter der erschreckten Menge, und wer war es? – Wilhelm Schinken!

Ein andermal hatte ein Meßbudenbesitzer mit tönenden Phrasen das Hauptstück seiner Sehenswürdigkeiten angekündigt in ,Hungrio, dem wilden Aschanti‘ und hob hervor, daß dieser Wilde vor den Augen des Publikums lebendige Tauben verzehren würde. Aber dieses wunderbare Schauspiel fand bald darin seinen Abschluß, daß man in ,Hungrio‘ den allbekannten Wilhelm Schinken ertappte.

Als in den fünfziger Jahren die sogenannten Amazonenhüte bei den Damen Mode wurden und man verschiedentlich diese mit dem Argwohn betrachtete, als wären sie die erste Staffel zur ,Frauenfrage in Kassel‘, sollte durch Verhöhnung dieser Mode eine Grube gegraben werden. Man hatte bei einer der ersten Putzmacherinnen in Kassel einen eleganten Amazonenhut bestellt, den Wilhelm Schinken leicht dazu gewonnen, sich mit diesem zarten Kunstwerk zu schmücken und dann langsamen Schrittes die Königsstraße hinauf und hinab zu wandeln. Große Heiterkeit war natürlich der einzige Erfolg dieser Modeverspottung!“

Gustav Weber 1913

Weber erwähnt den Schinken-Wilhelm in der 4. Strophe seines Kassel-Lieds „Als Kassel noch en kleines Nest“:

En Schwinnehirt gab's frieher noch, den Ahlen wohl bekannt,
Der „Schinkenwillem“ wurde hä bieh uns korzweck genannt.
Hä ging mit sinnen Schwinnerchen recht liebedätschig um,
Denn sinne liewen „Kinnerchen“, die waren nit so dumm.

Quellen

  • Bramer, Jeanette[4]: Vom alten Kassel [Folge 1]. In: Hessenland 23, 1895, S. 315 – 317, hier: S. 317.
  • Heidelbach, Paul: Anmerkungen.In August Grassow: Wörterbuch der Kasseler Mundart. Hrsg. u. erweit. v. Paul Heidelbach. Kassel 1952. S. 91 ff. hier: S. 91.
  • Weber, Gustav: Als Kassel noch en kleines Nest. Wiedergabe in August Grassow: Wörterbuch der Kasseler Mundart. Hrsg. u. erweit. v. Paul Heidelbach. Kassel 1952. S. 11.

Querverweise

Anmerkungen

  1. Heidelbach fährt fort: „Bildhauer Wilhelm Brandt schuf das wohlgelungene Modell einer Plastik von ihm.“ – Heinrich Wilhelm Brandt, gen. „der Löwen-Brandt“, * Kassel 1841, † Kassel 1914, Bildhauer, Lehrer an der Kunstgewerbeschule in Kassel.
  2. Zu dem Namensproblem nimmt Jeanette Bramer keine Stellung; sie geht sichtlich davon aus, daß „Schinken“ Familienname ist.
  3. Axel Herwig, der den „Schinggen-Willem“ in seinem Wörterbuch Kasselänisch von A bis Z (1977) erwähnt, versetzt ihn in die Zeit „um 1800 herum“ (S. 104).
  4. Jeanette Bramer geb. Henkel, * Kassel 1845, † Kassel 1922, Schriftstellerin, Tochter des Justizrats und Mitglieds des kurhessischen Parlaments Heinrich Henkel in Kassel.

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