Lenze und Lutze

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Der folgende Text, Teil einer kürzlich in Fritzlar entdeckten mittelalterlichen Handschrift, wurde von mir in der Schreibung unverändert belassen, jedoch mit Umlaut- und Satzzeichen versehen. Etliche ‚e‘ im Auslaut eines Wortes vor vokalisch anlautendem Folgewort werden nicht gesprochen; die zu verkürzenden Wörter sind von mir mit Sternchen (*) versehen worden. ‚Z‘ ist im Anlaut stets als ‚z‘ auszusprechen, sonst als ‚z‘ oder ‚s‘ (man kann sich meist an der neuhochdeutschen Entsprechung orientieren); ‚v‘ ist als ‚f‘ auszusprechen, ‚ht‘ und ‚lh‘ als ‚cht‘ und ‚lch‘.<br/>
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Der folgende Text, Teil einer kürzlich in Fritzlar entdeckten mittelalterlichen Handschrift, wurde von mir in der Schreibung unverändert belassen, jedoch mit Umlaut- und Satzzeichen versehen. Etliche ‚e‘ im Auslaut eines Wortes vor vokalisch anlautendem Folgewort werden nicht gesprochen; die zu verkürzenden Wörter sind von mir mit Sternchen (*) versehen worden.<br/>
Kalli Klein
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‚Z‘ ist im Anlaut stets als ‚z‘ auszusprechen, sonst als ‚z‘ oder ‚s‘ (man kann sich meist an der neuhochdeutschen Entsprechung orientieren); ‚v‘ ist stets als ‚f‘ auszusprechen, ‚ht‘ und ‚lh‘ als ‚cht‘ und ‚lch‘.
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Kalli Klein, 2006
  
  
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Manec sage mac man vinden<br/>
 
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von verworhten, bösen kinden.<br/>
 
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Solher zwene, wid''e'' erkennet,<br/>
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eppel unde biren stelen –<br/>
 
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Version vom 9. Januar 2014, 10:00 Uhr


Der folgende Text, Teil einer kürzlich in Fritzlar entdeckten mittelalterlichen Handschrift, wurde von mir in der Schreibung unverändert belassen, jedoch mit Umlaut- und Satzzeichen versehen. Etliche ‚e‘ im Auslaut eines Wortes vor vokalisch anlautendem Folgewort werden nicht gesprochen; die zu verkürzenden Wörter sind von mir mit Sternchen (*) versehen worden.
‚Z‘ ist im Anlaut stets als ‚z‘ auszusprechen, sonst als ‚z‘ oder ‚s‘ (man kann sich meist an der neuhochdeutschen Entsprechung orientieren); ‚v‘ ist stets als ‚f‘ auszusprechen, ‚ht‘ und ‚lh‘ als ‚cht‘ und ‚lch‘.

Kalli Klein, 2006


Lenze und Lutze

Von argen buben ein mere in siben possen

Von Cunze von Leimbach (um 1300, mittelniederhessisch)


Der vörlouf

Manec sage mac man vinden
von verworhten, bösen kinden.
Solher zwene, wide* erkennet,
Lenze* und Lutze sin genennet.
wolde man mit klugen leren
zeme guden si bekeren,
danne lacheten die schüllen
und uf daz begunden grüllen.
ja is iemer man bereide
zaller erge* und nidecheide!
menschen ranzen, dier verquelen,
eppel unde biren stelen –
ane melde* is daz genemer
und ouch sunder wan bequemer,
danne* in kirchen oder schule
stede sitzen ufme stule.
doch ouwe! – sodane venden
müzen ockers übele* enden,
und ein zil vele* ungemeit
Lenzen unde Lutzen beit.
des is, daz die beiden triben,
hie gemalet joch verschriben.


Die erste posse

Hüner hat man allewege
gerne* in hude und in plege:
beide von der eiger wegen,
die si vlize suchent legen,
und daz man sich edewenne
braden mac ein veize henne.
me noch bringet nützecheit
dirre diere vederkleit,
so manz in daz bette dut:
gegen kelde is ez gut.
ouch die alde wittib Behte
lac undankes küle* und slehte.
driger hüner si gewielt
und ouch einen hanen hielt.
Lenze* und Lutze sahen zu,
wie man Behten argez du.
dannen eines brodes ende
sniden si enzwei behende
in vier stumbel vingergroz.
krüzewise man beschoz
mit zwein snüren dise stücke
unde leide si mit dücke
nu zer Behten ungemache
rehte* in ere hovesache.
nu daz aber sach der hane,
finc he lude krejen ane:
„kikriki, kikiriki!“
„dac dac dac!“ do quamen si.
ieclich swulh da von dem brode
girliche* einen der vier schrode.
so daz brot nu was geslicket,
waren vele si bestricket.
was begunde do ein zogen,
zarren, dinsen unde gogen
krüzewise vör und wider!
uf si vlugen unde nider,
biz der armen diere hast
nu besloz ein spacher ast.
ere drozzen wurden lanc
unde dunkel ere sanc.
ieclich rasch ein ei noch leide,
danne quam der dot bereide.
aber dirre starke riez
Behten kume slafen liez.
in der döre wande Behte,
daz si niht ensehe rehte!
sa man horde ere wuf
und ere* armen jamerruf:
„mines libes schönsten troum
stal zeware dirre boum!“
trurecliche hup daz wip
uf nu ere scharfen knip.
ere was die schouwe leit,
danne si die doden sneit
von des boumes aste nider
unde ginc zem huse wider.


Die andere posse

Doch do Behte nu verwant
ere leit, des si bevant,
dahte wider si und vör,
daz ez si die beste kör,
briede si die lieben dier
zeinem brasse alle vier,
die so vrü zere* urloup namen.
Behten do die trene quamen:
ja was doch die trure groz,
nu die hüner bar und bloz
lagen uf dem herde heizen.
ach, wie sus bevör der zeizen
diere quecker krat und sanc
trütliche* in dem hove klanc!
Behte aber gunde riezen
unde liez die zere vliezen.
sit die buben gudez smahten,
uf zem dache si sich mahten,
da si sahen dörch den slat
nidene die guden brat.
in der panne uf dem vüre
sanc ez liepliche* und gehüre.
Behte ginc mit eime deller
nider zeme vazze* im keller,
da der sure kol was inne,
wolde* en holen mit dem sinne,
daz sin süde, wande heiz
smecket wol he, so man weiz.
vlize was man uf dem dache
inne des bi arger sache.
Lenze mide* enbore brahte
einen hamen mit bedahte.
do da neic der ham und seic,
snap! – ein hun gach ufwert steic,
snap! – noch einez was im slade,
snap! – daz dritte reis der brade,
snap! – verswant daz leste dier –
obe waren alle vier.
swie der hunt do bellen mohte,
sin geschelle wenec dohte.
doch die buben ungemach,
rasch verliezen si daz dach.
ockers werre musez stufen!
Behte sa begunde wufen,
do si zu der panne quam
unde ledec si vernam.
nu die hüner vuren hinnen,
Behten quam der hunt ze sinnen:
„hunt, din übelheit is schin,
des saldu gestrafet sin!“
Behte nam den leffel lanc
unde sa den hunt bedranc.
gelle schallete sin gac,
sit unrehtes he enplac.
Lenze* und Lutze nach dem vraze
sliefen sat in einer saze,
unde von dem brasse* alein
schinen uz zwei hunes bein.


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