Kopf und Arsch und anderes

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Von Werner Guth


In der Aufstellung nordhessischer Spottbezeichnungen im MAK [Mundart-Kurier] 15, S. 12, die mit Vornamen gebildet sind, dürfte aufgefallen sein, daß die Namen, die den charakterisierenden Vordergliedern nachgestellt sind, in manchen Fällen austauschbar sind. Beispiele: Bambelgehannes, Bambeljerge, Bambeljoost; Knuddergehannes, Gnudderhennes, Knudderjerge; Giggelhennes, Giggelliese, Giggelschorsche.

Einige der Namen sind jedoch nicht nur untereinander austauschbar, in etlichen Fällen sind sie auch austauschbar gegen Wörter des gewöhnlichen Wortschatzes, vgl. KnedemichelKnädebiedel, Knädebart; SuffjuleSuffkobb; BambeljergeBambelmull; BabbstoffelBabbsack. Besonders beliebt bei Bildungen dieser zweiten Art sind Zusammensetzungen mit Kopf und Arsch und – wer weiß, warum – solche mit Sack und Beutel. Diese vier Wörter neigen sichtlich zu umfangreicher Reihenbildung.

Die hier gebotene Zusammenstellung beruht wie diejenige im MAK 15 auf der Auswertung der folgenden drei Wörterbücher:

Gr: Grassow, August: Wörterbuch der Kasseler Mundart [Manuskriptabschluß 1894]. Hrsg. v. Paul Heidelbach. Kassel 1952.

He: Herwig, Axel: Geschimbed is norr lange nidd geschlohn oder au Wie daß mäh's in un um Kassel rim midd'en Schimbewergg halen. Kasselänisches Schimpfwörterbuch. Kassel 1979.

Ho: Hofmann, Fritz: Niederhessisches Wörterbuch. Zusammengestellt auf Grund der Mundart von Oberellenbach, Kreis Rotenburg (Fulda). Marburg 1926.

Hinzu kommt in wenigen Fällen:

He/AZ: Herwig, Axel: Kasselänisch von A bis Z, Kassel 1977.

Der Oberellenbacher Wortschatz in Hofmanns Wörterbuch ist in Lautschrift erfaßt, was hier nicht wiedergegeben werden kann. Die hieraus entnommenen Wörter sind, wie auch schon im MAK 15 geschehen, ins reguläre Alphabet umgesetzt worden, natürlich unzureichend.

Wie die Zusammenstellung im MAK 15 läßt sich auch die folgende aus dem Wortschatz anderer Orte und Gegenden sicherlich noch erweitern.


  • Kopf
Blosenkobb, Bloosenkobb, Blosenkopp (Gr, He, Ho): Dummkopf; einer, „der eine Blase, einen leeren Raum im Kopf hat“ (Gr); „halbwegs schimpflich“ (He). – Anm. zum Bedeutungsumfang von Blase: 1) Aufgeblasene Schweineblasen wurden früher zum Spielen (als eine Art Luftballon oder Ball) benutzt, 2) auch zum Schabernacktreiben: Man heftete sie heimlich hinterrücks jemandem an oder band sie Hund oder Katze an den Schwanz. 3) Vor dem Aufkommen des Eisenherds mit dem „Schiffchen“ zum Aufwärmen und Warmhalten des Wassers gab es in Nordhessen die „Blase“, einen hinter dem Herd oder Ofen am Abzug eingemauerten Kugeltopf. W.G.
Bollerkopp (He): cholerischer Polterer.
Brutzkobb, Broddskobb, Brotzkopp (Gr, He, Ho): jemand, der brutzt, brotzt, d. h. schmollt, mault.
Dehzelkobb (Gr): von dehzelig ‚dusselig‘; Redensart: „Hä hot’n dumm un dehzelig geschlah’n.“
Dickkopp (Ho): unnachgiebiger Mensch.
Dohlenkobb (Gr): „Anspielung auf abstoßende Physiognomie, Teint usw.“
Dummkobb, -kopp (Gr, Ho).
Gnaadskobb, Gnatzkopp (He, Ho): bei He ohne Erläuterung; launischer, unverträglicher Mensch (Ho); von niederhess. Knatz ‚Krätze, Grind‘.
Grindkobb (He): „verächtlich für jemand, dessen verdreckte Kopfhaut durch ständiges Kratzen verschorft ist“ (He). – Ist mir aus Kassel nur in der Bedeutung ‚übellauniger, leicht reizbarer Mensch‘ bekannt. Vgl. ähnliches Grendatzel (Ho) ‚mit Grind behafteter Mensch, boshafte, jähzornige Person‘. W.G.
Gritzekobb (Gr): jemand, der Gritze im Kopf hat; Gritze ‚Grütze‘, auch: ‚scharfer Verstand‘.
Knallkobb (He): jähzorniger Mensch.
Kreddelkobb, Griddelkobb (Gr, He): jemand, der kreddelt, d. h. stets und überall tadelt, auch: Unzufriedenheit, Übellaunigkeit äußert (Gr); alles bekrittelnde Person (He).
Meddsenkobb, Mädsenkopp (He, Ho): einer, der einen Kopf so groß und rund wie eine Metze hat; von Metze: Getreidemaß und entsprechendes Meßgefäß (He); Dickkopf (Ho). (Siehe Beitrag im MAK 16, S. 12.)
Muddenkobb (Gr): „scherzend: etwa: kleiner Schelm oder dergl.“; von Mudde ‚Motte‘.
Ochsenkobb, Ossenkobb, Ossenkopp (Gr, He, Ho): „stärker als: Schoof, Schoofskobb“ (Gr); „Dickschädel, sowohl äußerlich wie innerlich gemeint“ (He); dummer Mensch (Ho). – Die von He für Kassel angegebene Form Ossenkobb ist ländlich, in Kassel gebräuchlich eigentlich nur in Stadtteilen, die eingemeindete Dörfer sind (Spitzname der Harleshäuser: Ossen). Im alten Stadtkasselänschen heißt es Ochse (Gr, wie etwa auch wachsen gegenüber sonstigem wassen); ist kein hochdeutscher Import, sondern durchaus korrekter Dialekt. W.G.
Rabbelkobb (Gr, He): „eine Person, die sehr leicht in zornige oder närrische Aufregung gerät“ (Gr); Choleriker (He); vgl. rabbelköbbsch, Rabbel ‚Verrücktheit‘.
Schäßkobb (Gr, He): wie Schäßarsch, „stärker als Labbarsch“ (Gr); bei He ohne Erläuterung. – Anm.: Schäß ‚Schiß‘ ist als durch Zuwanderung ländlich eingefärbtes „Unterschichtenkasselänsch“ zu verstehen, vergleichbar mit der ebenfalls vorkommendem Variante äs von is/es ‚ist‘. Die Wörter Schiß, is, bis, gewiß, Riß, diß u. ä. sind im „guten“ Stadtkasselänsch gleich auszusprechen; sie lassen sich statt mit -i- auch mit -e- schreiben; keinesfalls ä-Aussprache. Auf den Unterschied es ‚ist‘ gegenüber ländlichem äs in der Umgebung von Kassel wies bereits Jacob Grimm 1816 hin (s. MAK 7, S. 2). Eigentümlicherweise ist der Zuwanderer Schäß zum „Kasseler Wörtchen“ promoviert worden, obwohl die meisten Kasseler das Wort gar nicht so aussprechen. (Das ursprüngliche „Erkennungswort“ der Kasseler war eigentlich Schludde ‚Flasche‘). W.G.
Schoofskobb, -kopp (Gr, He, Ho): Dummkopf; oft gutmütig gebraucht (Gr); einfältiger Tropf (He).
Schlaukopp (Ho).
Schwinnekobb (He): „a) äußerlich körperlich gemeint für jemand, dessen Kopf, Nacken und Gesicht einer Schweinsphysiognomie ähnelt; b) jemand, der sich für Schweinkram interessiert und dies allzu offensichtlich tut.“
Suffkobb (He): Säufer.


  • Arsch
Bärrelorsch Ho): Bettelarsch, einer, der nichts besitzt; von bärreln ‚betteln‘.
Bollerorsch (Ho): Polterer.
Dodderorsch (Ho): „unterentwickeltes Küken oder Gänschen; schwerfällig sich bewegender Mensch“.
Dreedelarsch (He): einer, der trödelt (s. Anm. zu Dreedelhennes, MAK 15, S. 13).
Gonderorsch (Ho): korpulente Person; Erklärung fehlt.
Gwengelarsch (He): „einer, der gwengelt [quengelt], d. h. einen dauernd belästigt mit Fragen und Klagen.“
Ködelarsch (He): ebd. ohne Erläuterung, aber mit Verweis auf Keedelschisser; unter diesem Stichwort: „Ködelscheißer, einer, dessen Kot in festen Ködeln abgeht (um 1910 hatten wir so einen in der Kastenalsgasse, der im ‚Bedarfsfalle‘ nur das Hosenbein abspreizte und die harten Ködel auf die Straße fallen ließ).“
Labbarsch, Labborsch (Gr, He, Ho): läppischer, schlaffer Kerl; „erbärmlicher Mensch“ (Ho).
Lahmarsch (He/AZ): langsamer Mensch.
Owerarsch (He): „Verstärkung des abgenutzten ‚Arschloch‘“.
Schäßarsch, -orsch (Gr, He, Ho): „stärker als Labbarsch“ (Gr); bei He ohne Erläuterung; schmutziger Mensch, kleiner Kerl, Feigling, Angsthase (Ho).
Schlabbarsch (He/AZ): ohne Erläuterung, nur Hinweis „vgl. Schlabbmull“.
Zabbelarsch (He): sehr unruhiges Kind, auch Erwachsener.


  • Sack
Babbsack (Gr, He): Dickwanst; vgl. Babbs ‚dick und steif Gekochtes‘.
Bärrelsack (Ho): Bettelsack, Bettler, einer, der dauernd ein Anliegen hat; von bärreln ‚betteln‘.
Bollersack (Ho): Polterer.
Dicksack (Ho): dicker Mensch.
Difdelsack (Ho): einer, der gern difdelt (‚tüftelt‘), d. h. der sich mit allerlei Kleinigkeiten beschäftigt, mit kleinlichen Arbeiten abgibt.
Dreggsagg, Dräggsack (He/AZ, Ho): Drecksack; unsauberer Mensch (Ho); „Schimpfwort, in Kassel als besonders ehrwidrig empfunden.“ (He/AZ)
Freßsagg, -sack (He, Ho): verfressener Mensch.
Fullsagg (He): Faulenzer.
Garschdsack, -sagg (Gr, He, Ho): ein Kind voller Unarten (Gr); garstiger Mensch (He); ungehorsames Kind (Ho).
Gnausdersack (Ho): Knausersack, Geizhals.
Grobbsack (Ho): Grobian. – Auch in Kassel üblich. W.G.
Gwarrsack (Ho): schreiendes Kind; von gwarren ‚halbschreiend weinen (besonders von kleinen Kindern).
Habbelsack (Ho): einer, der habbelt, d. h. überstürzt redet oder handelt.
Hoggersack (Ho): kleines Kind, das auf Tische und Stühle klettert; von hoggern ‚mühsam klettern‘ (besonders bezogen auf kleine Kinder).
Holbersack (Ho): einer, der leicht stolpert oder stottert.
Howwersack (Ho): in der Redewendung walscher Howwersack ‚welscher Hafersack‘, unverständlich redender Mensch.
Knedesack (Gr): einer, der knedet, d. h. langweilig redet.
Knuddersack, Gnuddersagg, Gnoddersack (Gr, He, Ho): einer, der viel knuddert, d. h. verhalten schimpft; brummiger, stets nörgelnder Mensch (Ho).
Laddersack (Ho): wie Ladderhans ‚leichtsinniger Mensch, Müßiggänger‘.
Lumbsagg (He): „a) charakterlich abfällig, b) die äußere Erscheinung betreffend.“
Mährsack (Ho): einer, der mährt, d. h. breit und langweilig erzählt; von mähren ‚schleppend daherreden (auch nörgelnd)‘. – Auch in Kassel üblich. W.G.
Riegelsack (Ho): unanständig und träge herumsitzender Mensch, einer, der sich riegelt ‚rekelt‘.
Ruggsagg (He): Rucksack, „derbe, aber nicht unfreundlich gemeinte Anrede für einen Kumpel, deren Tonfall sich jedoch leicht ins Negative verändern kann.“ – Ist mir aus Kassel nur geläufig als Bezeichnung für einen ungehobelten, rücksichtslosen Menschen. W.G.
Söisack (Ho): Sausack, schmutziger Mensch.
Schlabbsack (Ho): unordentlicher, träger Mensch. – Auch in Kassel üblich, hier: ‚schlaffer, träger Mensch‘. W.G.
Stoddersack (Ho): Stotternder.


  • Beutel
Kächzebiedel (Gr, He): „viel hustender, keuchender Mann“ (Gr); „alter keuchender Mann (Asthmatiker)“ (He); von kächzen ‚stark husten‘.
Kichebiedel (Gr): wie Kächzebiedel; vgl. Kichhusten ‚Keuchhusten‘ (Gr); das beiden Bezeichnungen zugrunde liegende Verb *kichen ‚keuchen‘ verzeichnet Gr nicht (zu seiner Zeit vielleicht bereits erloschen).
Klammerbiedel, Glammerbiedel (Gr, He): Klammerbeutel, jemand, der nur aus Haut und Knochen besteht.
Knedebiedel, Gnädebiedel, Gnärebiedel (Gr, He, Ho): einer, der knedet, gnäret, d. h. langweilig redet (Gr, Ho); Nörgler (He).
Kotzbiedel (Ho): einer, der dauernd hustet.
Quetschenbiedel, Gweddschenbiedel (Gr, He): Zwetschenbeutel, d. h. kleiner, unreifer Mensch, dgl. Kind (Gr); „eigentl. grobes Leinensäckchen, mit dem Jungen auf Gweddschenklau gingen; übertragen auf Personen, denen man Gelegenheitsklauerei zutraute.“ (He). – Mir nur geläufig als ‚kleiner, quirliger Junge‘ (etwa wie Gr). W.G.
Siedenbiedel (Gr): Seidenbeutel, „einer, der zu viel Glätte, Geschmeidigkeit, Süßes in seinen Manieren hat“.
Sießenbiedel (He): einer, der einem nach dem Mund redet.
Wendbiedel (Gr), Wend-, auch Windbiedel (He): Windbeutel, Luftikus, leichtsinniger Mensch; Spottname der Kasseler (s. Beitrag S. 14[1]).
Witzebhttp://www.kasselwiki.de/skins/common/images/de/button_italic.pngiedel (Gr): eingebildeter junger Mensch (nicht: Witzbold).


Quelle

  • Guth, Werner: Kopf und Arsch und anderes. In: Der Mundart-Kurier – Mitteilungen der Gesellschaft für nordhessische Mundarten, Nr. 17, 2009, S. 12 f.[2]


Querverweise


Anmerkungen

  1. Gemeint ist: Mundart-Kurier S. 14. Dort der ins KasselWiki übernommene Kasseläner Windbiedel von Heinrich Keim.
  2. Die Literaturangaben oben im Kopf des Artikels sind gegenüber der Fasssung im Mundart-Kurier erweitert, d.h. präzisiert worden; sonst keine Änderungen.

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