Die „Kliwwer“

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Von Werner Guth


Wer gut innkacheln (einheizen) will, nimmt am besten ein paar Kliwwern Holz. Und wenn die Kaffeekanne vom Tisch gefallen ist, ist sie mit großer Wahrscheinlichkeit – gekliwwert.

Was hat es mit diesen beiden Dialektwörtern auf sich?

Vilmar erklärt in seinem „Idiotikon von Kurhessen“ (1868) die Klibber (Kliwwer) als einen „Splitter Holz zum Küchengebrauche“ (‚Scheit Holz‘ wäre als Kennzeichnung wohl vorzuziehen). „Nur in Niederhessen üblich.“ Zu klibbern schreibt er: „... zerschlagen, in Stücke, zumal in Splitter schlagen oder zerbrechen laßen. ‚Das Glas ist geklibbert‘ (zerbrochen; meist im Unwillen gesprochen). ‚Sie hawen [hauen] einen dicken Palmenbaum vmb und kliebern den in kleine sprießlin.‘“ (Hans Stadens Reisebeschreibung, 16. Jh.) „In Niederhessen allgemein gebräuchlich, aber auch anderwärts nicht unüblich.“

Hans Staden hat hier noch die ältere Form kliebern mit langem i. Auch die Kliwwer geht zurück auf eine *Klieber. Beide Wörter sind im Hochdt. nicht belegt, gehören aber offensichtlich zu dem mittelhochdt. Verb klieben mit der Bedeutung ‚spalten‘, das in süddt. Mundarten noch lebendig ist. Althochdt. ist es als klioban belegt. Von Ablautformen der Wortwurzel sind abgeleitet: die Kluft ‚Spalte, Geländeeinschnitt‘, der Kloben, eigentlich ‚Spaltholz (zum Vogelfangen)‘, und die Kluppe ‚Klammer, Zange‘, wohl auch ‚Spaltholz als Fanggerät‘. Vgl. dazu die niederhessische Redensart „Einen in de Klubbe krichen“ oder „in der Klubbe honn“, d.h. ‚in der Zange oder in der Falle‘. Weiterhin gehört auch der Knoblauch hierzu, der aus mittelhochdt. klobelouch entstanden ist. Der Name bedeutet offenbar ‚Lauchart, die (in einzelne Zehen) gespalten ist‘.

Klieben gibt bzw. gab es nicht nur im Deutschen, sondern – in anderer Lautung – auch in germanischen Nachbarsprachen: altengl. clofan ‚spalten‘ und altnord. kljúfa mit derselben Bedeutung. Als germanische Ausgangsform wird *kleuba- ‚spalten‘ angesetzt.

Die Wortgeschichte läßt sich aber noch weiter zurückverfolgen: German. *kleuba- ist urverwandt mit latein. glubere ‚abschälen, Tier abdecken‘ und griech. glypho ‚ich schnitze, meißele aus, graviere‘ (vgl. Hieroglyphen, die griech. Bezeichnung für die ägyptischen in Stein gravierten Schriftzeichen). Als indogermanische Vorform setzt die Sprachwissenschaft eine Wurzel *gleubh- ‚spalten‘ an.

Abgesehen vom erstaunlich hohen Alter der Wortwurzel, die in der Kliwwer steckt (mindestens 4000 Jahre), läßt sich überraschenderweise auch noch feststellen, daß unsere bescheidene Kliwwer mit den altehrwürdigen Hieroglyphen verwandt ist.

Na, wenn das nichts ist...!


Aus: Der Mundart-Kurier – Mitteilungen der Gesellschaft für Nordhessische Mundarten, Nr. 3, 2005, S. 14.


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