Die „Anke“

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Vilmar gibt in seinem „Idiotikon von Kurhessen“ von 1868 zum Stichwort Anke folgende Erklärung:  „... der Hinterkopf, der Nacken, das Genick. Ist in ganz Hessen der übliche Ausdruck; Nacken ist gänzlich unbekannt, Genick wird nur in bestimmten Beziehungen gebraucht.“
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Vilmar gibt in seinem „Idiotikon von Kurhessen“ von 1868 zum Stichwort ''Anke'' folgende Erklärung:  „... der Hinterkopf, der Nacken, das Genick. Ist in ganz Hessen der übliche Ausdruck; ''Nacken'' ist gänzlich unbekannt, ''Genick'' wird nur in bestimmten Beziehungen gebraucht.“
  
Wie viele andere Dialektwörter ist Anke der regionale Nachfahre eines früher einmal zum allgemeinen deutschen Sprachschatz gehörenden Wortes: mittelhochdt. ''anke'' ‚Genick, Gelenk  am Fuß‘, althochdt. ''anka'' ‚Genick, Hinterhaupt, Glied‘.
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Wie viele andere Dialektwörter ist ''Anke'' der regionale Nachfahre eines früher einmal zum allgemeinen deutschen Sprachschatz gehörenden Wortes: mittelhochdt. ''anke'' ‚Genick, Gelenk  am Fuß‘, althochdt. ''anka'' ‚Genick, Hinterhaupt, Glied‘. Ganz offenbar ist die Grundbedeutung des Wortes ‚biegsamer Körperteil‘ (die Bedeutung ‚Hinterhaupt‘ ist sekundär). Eine Verkleinerungsform zu ''Anke'' in dieser ursprünglichen Bedeutung ist ''Enkel'' ‚Fußknöchel, Sprunggelenk‘ , althochdt. belegt als ''anchal'', ''enchil''.
  
Ganz offenbar ist die Grundbedeutung des Wortes ‚biegsamer Körperteil‘ (die Bedeutung ‚Hinterhaupt‘ ist sekundär). Eine Verkleinerungsform zu Anke in dieser ursprünglichen Bedeutung ist ''Enkel'' ‚Fußknöchel, Sprunggelenk‘ , althochdt. belegt als ''anchal'', ''enchil''.
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In unseren germanischen Nachbarsprachen muß es das Wort ''Anke'' ebenfalls einmal gegeben haben, darauf deuten engl. ''ancle'' und altnord. ''okkla'' ,Fußknöchel‘ hin, die Paralellformen zu dt. ''Enkel''. Da sich das Germanische etwa um Christi Geburt in Dialekte aufzuspalten begann, aus denen im Mittelalter die Einzelsprachen Deutsch, Holländisch, Englisch und die skandinavischen Sprachen hervorgegangen sind, ist ''Anke'' offenbar sehr hohen Alters.
  
In unseren germanischen Nachbarsprachen muß es das Wort ''Anke'' ebenfalls einmal gegeben haben, darauf deuten engl. ''ancle'' und altnord. ''okkla'' ,Fußknöchel‘ hin, die Paralellformen zu dt. ''Enkel''.
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Das Germanische ist mit zahlreichen anderen Sprachen Europas bis hin zum Indischen verwandt. Sie alle lassen sich zurückführen auf eine Ursprache, um deren Rekonstruktion sich die Sprachwissenschaft seit über 150 Jahren bemüht. Diese „Indogermanisch“ genannte Ursprache muß in der Jungsteinzeit in Mittel- und Osteuropa gesprochen worden sein. Mit Beginn der Bronzezeit, also etwa um 2000 v. Chr., war sie sicherlich schon in unterschiedliche Dialekte zerfallen, die sich später zu eigenständigen Sprachen weiterentwickelt haben.
  
Da sich das Germanische etwa um Christi Geburt in Dialekte aufzuspalten begann, aus denen im Mittelalter die Einzelsprachen Deutsch, Holländisch, Englisch und die skandinavischen Sprachen hervorgegangen sind, ist Anke offenbar sehr hohen Alters.
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Die Rekonstruktion des Indogermanischen bezieht sich vor allem auf Wortwurzeln, Lautung und Grammatik. Unsere ''Anke'' läßt sich zurückführen auf die indogermanische Doppelwurzel *''ank''-/*''ang''- mit der Bedeutung ‚biegen, Gebogenes‘. Zu Recht fällt einem dazu die ''Angel'' ein (ursprünglich ist damit nur der Angelhaken gemeint), ein Wort, das ganz offensichtlich mit ''Anke'' verwandt ist.
  
Das Germanische ist mit zahlreichen anderen Sprachen Europas bis hin zum Indischen verwandt. Sie alle lassen sich zurückführen auf eine Ursprache, um deren Rekonstruktion sich die Sprachwissenschaft seit über 150 Jahren bemüht. Diese „Indogermanisch“ genannte Ursprache muß in der Jungsteinzeit in Mittel- und Osteuropa gesprochen worden sein.
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Im folgenden einige Beispiele von Wörtern aus indogermanischen Sprachen, in denen dieselbe Wurzel vorliegt: altind. ''ankáh'' ‚Biegung, Haken‘; altgriech. ''ónkos'' ‚Widerhaken‘, ''ankýlos'' ‚krumm‘ und ''ánkistron'' ‚Angelhaken‘; latein. ''angulus'' ‚Winkel‘, ''uncus'' ‚gekrümmt‘ und ''ancrae'' ‚Krümmung, Einbuchtung‘; gallisch *''anko''- ‚gekrümmt‘; litauisch ''anka'' ‚Schlinge, Schleife‘, armenisch ''ankiun'' ‚Winkel‘. Bezeichnungen speziell für Körperteile, die auf dieser Wurzel basieren, sind neben unserer ''Anke'': altind. ''ángam'' ‚Glied‘, ''angúlih'' ‚Finger, Zehe‘; altgriech. ''ankon'' ‚Ellenbogen, auch: Bug‘.
 
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Mit Beginn der Bronzezeit, also etwa um 2000 v. Chr., war sie sicherlich schon in unterschiedliche Dialekte zerfallen, die sich später zu eigenständigen Sprachen weiterentwickelt haben.
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Die Rekonstruktion des Indoger-manischen bezieht sich vor allem auf Wortwurzeln, Lautung und Grammatik. Unsere ''Anke'' läßt sich zurückführen auf die indogermanische Doppelwurzel *''ank''-/*''ang''- mit der Bedeutung ‚biegen, Gebogenes‘. Zu Recht fällt einem dazu die ''Angel'' ein (ursprünglich ist damit nur der Angelhaken gemeint), ein Wort, das ganz offensichtlich mit ''Anke'' verwandt ist.
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Im folgenden einige Beispiele von Wörtern aus indogermanischen Sprachen, in denen dieselbe Wurzel vorliegt: altind. ''ankáh'' ‚Biegung, Haken‘; altgriech. ''ónkos'' ‚Widerhaken‘, ''ankýlos'' ‚krumm‘ und ''ánkistron'' ‚Angelhaken‘; latein. ''angulus'' ‚Winkel‘, ''uncus'' ‚gekrümmt‘ und ''ancrae'' ‚Krümmung, Einbuchtung‘; gallisch *''anko''- ‚gekrümmt‘; litauisch ''anka'' ‚Schlinge, Schleife‘, armenisch ''ankiun'' ‚Winkel‘.
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Bezeichnungen speziell für Körperteile, die auf dieser Wurzel basieren, sind neben unserer ''Anke'': altind. ''ángam'' ‚Glied‘, ''angúlih'' ‚Finger, Zehe‘; altgriech. ''ankon'' ‚Ellenbogen, auch: Bug‘.
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* [[Niederhessische Mundart]]
 
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* [[Kasseler Mundart]]
 
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<metadesc>Etymologie von niederhessisch ''Anke'' ‚Genick‘.</metadesc>

Aktuelle Version vom 1. März 2014, 08:30 Uhr


Von Werner Guth


Vilmar gibt in seinem „Idiotikon von Kurhessen“ von 1868 zum Stichwort Anke folgende Erklärung: „... der Hinterkopf, der Nacken, das Genick. Ist in ganz Hessen der übliche Ausdruck; Nacken ist gänzlich unbekannt, Genick wird nur in bestimmten Beziehungen gebraucht.“

Wie viele andere Dialektwörter ist Anke der regionale Nachfahre eines früher einmal zum allgemeinen deutschen Sprachschatz gehörenden Wortes: mittelhochdt. anke ‚Genick, Gelenk am Fuß‘, althochdt. anka ‚Genick, Hinterhaupt, Glied‘. Ganz offenbar ist die Grundbedeutung des Wortes ‚biegsamer Körperteil‘ (die Bedeutung ‚Hinterhaupt‘ ist sekundär). Eine Verkleinerungsform zu Anke in dieser ursprünglichen Bedeutung ist Enkel ‚Fußknöchel, Sprunggelenk‘ , althochdt. belegt als anchal, enchil.

In unseren germanischen Nachbarsprachen muß es das Wort Anke ebenfalls einmal gegeben haben, darauf deuten engl. ancle und altnord. okkla ,Fußknöchel‘ hin, die Paralellformen zu dt. Enkel. Da sich das Germanische etwa um Christi Geburt in Dialekte aufzuspalten begann, aus denen im Mittelalter die Einzelsprachen Deutsch, Holländisch, Englisch und die skandinavischen Sprachen hervorgegangen sind, ist Anke offenbar sehr hohen Alters.

Das Germanische ist mit zahlreichen anderen Sprachen Europas bis hin zum Indischen verwandt. Sie alle lassen sich zurückführen auf eine Ursprache, um deren Rekonstruktion sich die Sprachwissenschaft seit über 150 Jahren bemüht. Diese „Indogermanisch“ genannte Ursprache muß in der Jungsteinzeit in Mittel- und Osteuropa gesprochen worden sein. Mit Beginn der Bronzezeit, also etwa um 2000 v. Chr., war sie sicherlich schon in unterschiedliche Dialekte zerfallen, die sich später zu eigenständigen Sprachen weiterentwickelt haben.

Die Rekonstruktion des Indogermanischen bezieht sich vor allem auf Wortwurzeln, Lautung und Grammatik. Unsere Anke läßt sich zurückführen auf die indogermanische Doppelwurzel *ank-/*ang- mit der Bedeutung ‚biegen, Gebogenes‘. Zu Recht fällt einem dazu die Angel ein (ursprünglich ist damit nur der Angelhaken gemeint), ein Wort, das ganz offensichtlich mit Anke verwandt ist.

Im folgenden einige Beispiele von Wörtern aus indogermanischen Sprachen, in denen dieselbe Wurzel vorliegt: altind. ankáh ‚Biegung, Haken‘; altgriech. ónkos ‚Widerhaken‘, ankýlos ‚krumm‘ und ánkistron ‚Angelhaken‘; latein. angulus ‚Winkel‘, uncus ‚gekrümmt‘ und ancrae ‚Krümmung, Einbuchtung‘; gallisch *anko- ‚gekrümmt‘; litauisch anka ‚Schlinge, Schleife‘, armenisch ankiun ‚Winkel‘. Bezeichnungen speziell für Körperteile, die auf dieser Wurzel basieren, sind neben unserer Anke: altind. ángam ‚Glied‘, angúlih ‚Finger, Zehe‘; altgriech. ankon ‚Ellenbogen, auch: Bug‘.


Aus: Der Mundart-Kurier – Mitteilungen der Gesellschaft für Nordhessische Mundarten, Nr. 1, 2004, S. 14.


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