De Haifischjachd

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::::Joh, sellwer unse<ref>''unse'' „unser“ ist im Nominativ Singular und Plural aller Geschlechter unveränderlich; es heißt also beispielsweise: ''unse Vader – unse Mudder – unse Kind; unse Väder - unse Midder – unse Kinner''.</ref> Kabbedähn<br />
 
::::Joh, sellwer unse<ref>''unse'' „unser“ ist im Nominativ Singular und Plural aller Geschlechter unveränderlich; es heißt also beispielsweise: ''unse Vader – unse Mudder – unse Kind; unse Väder - unse Midder – unse Kinner''.</ref> Kabbedähn<br />
 
::::Der firchdede de Haifischzähn'.<br />
 
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::::„Du, Dippel!" hodd hä do gesahd<ref>Stammformen: ''sahn – sahde – gesahd''.</ref>,<br />
::::„Du weißd je sunsten immer Rahd<ref>''Rahd'' „Rat“ ist hochdeutsch, richtig wäre: ''Rohd'' (mit offenem ''o''). Man merkt hier deutlich – wie auch an anderen Textstellen – daß das Gedicht vom Hochdeutschen her konzipiert wurde. Weiter unten, da nicht in Reimstellung, richtiges ''geroden''.</ref>,<br />
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::::„Du weißd je sunsten immer Rahd<ref>''Rahd'' „Rat“ ist hochdeutsch, richtig wäre: ''Rohd'' (mit offenem ''o''). Man merkt hier deutlich – wie auch an anderen Textstellen – daß das Gedicht vom Hochdeutschen her konzipiert wurde; Folge: Reimzwang. Weiter unten, da nicht in Reimstellung, richtiges ''geroden''.</ref>,<br />
 
::::Nu schbrech mäh moh vor ludder Schreggen,<br />
 
::::Nu schbrech mäh moh vor ludder Schreggen,<br />
 
::::Wie jahen<ref>''jahn'' „jagen“ (ist einsilbig).</ref> mäh den Haifisch weggen?"<br />
 
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::::Der Kabbedähn schbroch: „So en Bech! <br />
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::::Der Kabbedähn schbroch<ref>''schbroch'': Aussprache mit kurzem ''o''.</ref>: „So en Bech! <br />
 
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::::Wie krichen mäh den Haifisch wech<ref> Verlgenheitslösung um des Reimes willen; müße ''weg'' (Aussprache ''weck'') heißen, vgl. oben die längere Form ''weggen''.</ref>?" –<br />
 
::::„Herr Kabbedähn", schbroch ich, „ze dienen,<br />
 
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Berndts Sprache hat Züge des Halbdialekts. Die folgenden z.T. kritischen Anmerkungen sind natürlich auf dem Hintergrund des hinreichend dokumentierten Kasseler Dialekts der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zu verstehen.
 
Berndts Sprache hat Züge des Halbdialekts. Die folgenden z.T. kritischen Anmerkungen sind natürlich auf dem Hintergrund des hinreichend dokumentierten Kasseler Dialekts der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zu verstehen.
 
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* [[Kasseler Mundart]]
 
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Version vom 12. Januar 2013, 19:41 Uhr


„De Haifischjachd“, Gedicht von Konrad Berndt (1872 – 1935) in Kasseler Mundart, Erstveröffentlichung 1910.

Inhaltsverzeichnis

Text


De Haifischjachd


Der ahle Dippel hodd gelochen[1],
Daß Hieser[2] sich un Balken bochen.
Zur Browe sei en Schdigg gewähld,
Wie hä es sellwer hodd verzählt. –
„Als einst mäh machden[3] noh Auschdralien",
Begann[4] hä, „gab es ofd[5] Labbalien.
So schwumm[6] moh im Adland'schen Meer
En Haifisch hinnerm Schiffe her.
De Mannschafd war in großer Nod
Un winschde sich das Undier dod.
Joh, sellwer unse[7] Kabbedähn
Der firchdede de Haifischzähn'.
„Du, Dippel!" hodd hä do gesahd[8],
„Du weißd je sunsten immer Rahd[9],
Nu schbrech mäh moh vor ludder Schreggen,
Wie jahen[10] mäh den Haifisch weggen?"
„Joh!" sahde ich, „Herr Kabbedähn,
Ich sach[11] en ahlen Schduhl do schdehn,
Den schmißt emm' henn, den mag hä kauen!
Hä sallen[12]nie nidd mehr[13] verdauen!"
Wie ich geroden, so geschah's[14].
Der Hai den großen Lehnschduhl fraß,
Un zu dersellwigen Segund
Verschwann[15] hä uff dem Meeresgrund. -
Ahm annern Morchen in der Frieh
War widder do des Reiwervieh!
Der Kabbedähn schbroch[16]: „So en Bech!
Wie krichen mäh den Haifisch wech[17]?" –
„Herr Kabbedähn", schbroch ich, „ze dienen,
Nehmd doch ne Kiste Abbelsiehnen
Un schmißt säh emme in den Rachen,
Dann wird hä sich schund dinne machen."
Kaum flochch de Kiste iwwer Bord,
Do nahm der Hai säh au midd ford.
Ahm annern Daach – wer hädd's gedachd –
Wa widder Uch das Viech erwachd!
Un widder frug der Kabbedähn:
„Hä, Dippel! Was sall nu geschehn?"
„Joh!" sahd ich, „einfach äß das nidd[18]!
Der Bursche hodd uff Fleisch Abb'didd!
Es hilfd nu nischd[19] – , mäh missen ewen
Emm' Menschenfleisch zu fressen gäwen. –
Ahn Bord, do äß en ahles Weib[20],
Midd dirren, klabberichen[21] Leib,
Die klagde jingst[22] mäh ähre Nod
Un winschde sich ahm liebsten dod.
Die kennde uns – ich well druff wedden –
Ahm besten vunn dem Undier redden!"
Un in des Haifischs großem Rachen
Dem Wiewe sinne Knochen krachen. –
Doch wer beschriewed unsen Schreggen,
Als annern Daaches mäh endeggen,
Daß disser Reiwer midd dem Schwanze
Des Wasser bläddschd im Morchenglanze!
Do frug ich säh: „Habd dä[23] Kanonen?"
„Jawoll!" „Dann giwwed's kinn Verschonen!
Hold so en Dengen! Eins, zwei, drei!
Filld's vull midd Bullwer, Schdeinen, Blei!
Jeddzd schießen mäh – du schwere Nod! –
Das ahle Scheisal[24] einfach dod!"
Ich feire los[25]! En luhder Knall!
Des ganze Schiff bebd bieh [de]m Schall,
Un eh' de Mannschafd sich's gedachd
Hadd ich den Haifisch kald gemachd. –
In sinnem Blude schwomm umher
Sinn Leichnahm[26] im Adland'schen Meer! –
Nachdem[27] mäh langsam uns erhold,
Do wurr[28] hä schnell ahn Bord gehold;
Un wie hä owen ahngekommen,
Wurr hä geschrabbd un ußgenommen.
Was fannen mäh[29] – 's äß nidd ze sagen! –
Was fannen mäh in sinnem Magen?
Den ahlen Schduhl! Un druffe saß
Das Wibb, das Abbelsiehnen aß!"


Quelle

Berndt, Konrad: Allerhand vom Fulleschdrand. Casseläner Geschichderchen un Gedichderchen. Kassel 1910. S. 18 - 20.

Erläuterungen

Berndts Sprache hat Züge des Halbdialekts. Die folgenden z.T. kritischen Anmerkungen sind natürlich auf dem Hintergrund des hinreichend dokumentierten Kasseler Dialekts der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zu verstehen.

  1. gelochen „gelogen“ und bochen „bogen“ in der Folgezeile sind – abweichend vom Hochdeutschen – mit kurzem o auszusprechen.
  2. Hieser „Häuser“.
  3. Als einst mä machten: als ist hochdeutsch, müßte wie heißen, einst ist ebenfallls hochdeutsch, müßte einsten heißen oder einfach moh „mal“.
  4. Das Verb beginnen ist hochdeutsch, müßte aanfangen heißen, hier: fung ahn (ans Hochedeutsche angeglichen allenfalls fing ahn).
  5. ofd ist hochdeutsch; mundartlich richtiger wäre efdersch, immer widder (moh).
  6. Stammformen schwimmen – schwumm – geschwummen.
  7. unse „unser“ ist im Nominativ Singular und Plural aller Geschlechter unveränderlich; es heißt also beispielsweise: unse Vader – unse Mudder – unse Kind; unse Väder - unse Midder – unse Kinner.
  8. Stammformen: sahn – sahde – gesahd.
  9. Rahd „Rat“ ist hochdeutsch, richtig wäre: Rohd (mit offenem o). Man merkt hier deutlich – wie auch an anderen Textstellen – daß das Gedicht vom Hochdeutschen her konzipiert wurde; Folge: Reimzwang. Weiter unten, da nicht in Reimstellung, richtiges geroden.
  10. jahn „jagen“ (ist einsilbig).
  11. sach (mit langem a) „sah“.
  12. hä sallen = hä sall enn „er soll ihn“.
  13. nie nidd mehr ist nicht dialektgemäß. Die doppelte Verneinung gibt es bloß in der Verbindung kein ... nitt; sie ist sprachhistorisch begründet und läßt sich nicht wahllos übertragen.
  14. Das Verb geschehen, geschah ist hochdeutsch.
  15. verschwann: ans Hochdeutsche angelehnt, die alten Stammformen: richtig wäre verschwinnen – verschwunn – verschwunnen.
  16. schbroch: Aussprache mit kurzem o.
  17. Verlgenheitslösung um des Reimes willen; müße weg (Aussprache weck) heißen, vgl. oben die längere Form weggen.
  18. Einfach äß das nidd: äß „ist“ ist ländlich eingefärbtes (Unterschichten-)Kasselänsch, richtiger: is/es.
  19. nischd „nichts“ gibt es im Kasselänschen und in der niederhessischen Umgebung nicht, es muß nix heißen.
  20. Weib und Leib ist hochdeutsch, es müßte Wibb und Libb heißen. Der Reim ist vom Hochdeutschen her konzipiert. Vermutlich war Berndt Libb „Leib“ nicht mehr geläufig (kam wohl weitgehend nur noch vor in Libbweh und Formulierungen wie Ich honn’s im Liewe). Berndt hat das hochdeutsche Leib also belassen, mußte um des Reimes willen dann aber auch Weib belassen (an späteren Stellen des Gedichts – ohne Reimzwang –: dem Wiewe, das Wibb).
  21. Ersatz des Dativ-m durch n ist eine in Kassel vorkommende Sprachnachlässigkeit, keineswegs authentischer Dialekt.
  22. klagde: ans Hochdeutsche angelehnt; müßte klahde heißen (vergleichbar mit jahde „jagte“ und sahde „sagte“, welches übrigens von mundartlich ausgesprochenem sagte > sachde heutzutage weitgehend verdrängt ist).
  23. Habd dä? Korrekt wäre: Hodd dä?
  24. Scheisal ist entrundetes hochdeutsches Scheusal; mundartlich wäre: Biest, Undier.
  25. losfeiern ist entrundetes hochdeutsches losfeuern (mundartl.: Fier „Feuer“). Dialektgemäß wäre losballern.
  26. Leichnahm ist hochdeutsch; dialektal müßte es allenfalls Liche (mit kurzem i) heißen. Da Liche in der Regel aber „Leichenbegängnis, Beerdigung“ bedeutet, hieß (und heißt es) einfach der (oder die) Dode.
  27. nachdem ist hochdeutsch; es müßte nohdem(e) heißen.
  28. wurr „wurde“.
  29. fannen mäh „fanden wir“: ans Hochdeutsche angelehnt, richtig wäre funnen mäh.

Erläuterungen von Werner Guth, erstellt für KasselWiki 2012, ergänzt 2013.

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