Das „Adel“

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Von Werner Guth


„Arbeit adelt“ – so nannte Detlev v. Liliencron 1887 eines seiner Theaterstücke. Bei uns in Hessen adelt aber nicht nur die Arbeit, sondern von alters her auch der Bauer, und zwar seine Äcker. Er erhebt die Äcker damit allerdings keineswegs in den Adelsstand, sondern – er düngt sie mit Jauche.

Ob das alte Wort Adel für Jauche – je nach Ortsmundart auch Odel und Orel ausgesprochen – bei hessischen Junglandwirten tatsächlich noch zum festen Vokabular gehört, entzieht sich meiner Kenntnis. Jauche dürfte geläufiger sein, scheint aber heutigentags wie Adel ebenfalls auf der Aussterbeliste zu stehen. Denn Jauche hat in Gülle einen Konkurrenten bekommen, der offenbar das Rennen macht. Zweifellos klingt das Wort Gülle erheblich lieblicher als Jauche, erinnert es doch an gülden, hat also gegenüber der prosaischen Jauche etwas geradezu Poetisches.

Was hat es mit dem Wort Adel und seinen Nachfolgern auf sich?

Daß das hier in Rede stehende Wort Adel mit dem Adelsstand nichts zu tun hat, versteht sich. Bereits der Artikel zeigt es: Die Mistbrühe heißt „das“ Adel, nicht „der“ Adel. Eigentlich müßte man noch weiter unterscheiden: In korrektem Hochdeutsch müßte das Dialektwort Atel heißen, vgl. mittelhochdt. atel ‚Schlamm, Morast, schlammiges Wasser‘.

August Vilmar schreibt in seinem „Idiotikon von Kurhessen“ von 1868 unter dem Stichwort „Adel“ (S. 4): „Mistbrühe, Jauche. In ganz Hessen üblich, oft zusammengesetzt mit sutte: ôdelsotte, adelsette, âlsutte, welche Composition nicht anderes als das einfache Wort bedeutet. [. . .] Das Wort [Adel] ist sehr alt (angelsächsisch adelseád), [. . .] Nach dem Teutonista [. . .] ist am Niederrhein adel ein Sumpf, Pfuhl.“ Vilmar führt weiterhin an, „daß in der schwedischen Provinz Ostgotland koadel Kuhharn, in Dalekarlien adla harnen bedeutet.“ Die verwandten Wörter jenseits des Ärmelkanals und in Skandinavien zeigen, daß es sich bei Adel um ein altes germanisches Wort handelt. Die weitere Herkunft des Wortes Adel konnte bisher noch nicht befriedigend geklärt werden. In Deutschland ist es außer im Hessischen vor allem im Niederdeutschen belegt. Im Niedersächsischen gibt es z. B. Adele ‚Jauche, Kloake, Urin, Pfütze‘, Adelewörm ‚Regenwurm‘, Adelfatt ‚Jauchefaß‘, in Schleswig-Holstein Addel ‚Mistjauche‘. Interessant ist, daß mit diesem Wort in Deutschland und England auch einige Ortsnamen gebildet sind, z. B. Adelhorn (b. Diepholz), Addelhoff (b. Neumünster) und jenseits des Ärmelkanals Adel (b. Leeds), Adellmeade (Wüstung in Gloucestershire).

Wie sieht es nun mit Jauche und Gülle aus, den Kokurrenten von Adel?

Jauche ist slawischen Ursprungs, vgl. sorbisch jucha ‚flüssiger Stalldünger, Brühe, Suppe‘, und ist erstmals im Schlesischen im 15. Jh. als jauche belegt, dann im 16. Jh. im Obersächsischen als Mistgauche. Jauche ist also, von seiner slawischen Herkunft einmal abgesehen, eigentlich ein Dialektwort. Erst spät, nämlich im 18. Jh., erlangte es hochsprachliche Geltung.

Gülle ist als hochsprachliches Wort derartig neu, daß es in Kluges „Etymologischem Wörterbuch“ (22. Aufl. 1989), dem Standardwerk für Fragen der Wortherkunft, nicht einmal verzeichnet ist. Gülle ist eigentlich ebenfalls ein Dialektwort, gebräuchlich in Südwestdeutschland und der Schweiz, wo es ‚Jauche‘, aber auch ‚Pfütze‘ bedeutet. Hochsprachlich ist das Wort zwar jung, für sich genommen aber hohen Alters. Es hat Verwandte in Skandinavien und läßt sich übers Germanische an das noch ältere Indogermanische anschließen.


Aus: Der Mundart-Kurier – Mitteilungen der Gesellschaft für Nordhessische Mundarten, Nr. 12, 2008, S. 10.


Zugabe:

Piston

Von Werner Guth

In einer kleinen nordhessischen Ackerbürgerstadt hat eine Familie seit Generationen den Beinamen Piston.

Die Familie erklärt den Namen – nicht ohne Stolz – folgendermaßen: Der Urgroßvater von Piston-Ernst, dem jetzigen Familienoberhaupt, sei sehr musikalisch gewesen und habe das Piston geblasen. Seine Kunstfertigkeit auf diesem Instrument habe dann zu jenem Beinamen geführt.

Die Leute im Ort erklären den Namen allerdings ganz anders: Jener angeblich so musikalische Urgroßvater soll nach deren Version regelmäßig in einer großen Tonne Adelsutte auf seine Ländereien gefahren haben. Da der Verschluß der Jauchetonne undicht gewesen sei, habe der Transport im Ort nicht nur eine deutliche optische Spur hinterlassen, sondern zum Leidwesen mancher Nachbarn auch eine deutliche Geruchsspur. Gutes Zureden habe wenig geholfen: Der Mann habe die Tonne weitertropfen lassen.

„Hä kimmet widder mit sinner Pißtonne“, habe es dann ergrimmt geheißen, später vereinfacht zu der Feststellung: „De Pißtonne kimmet“, oder: „De Pißtonne war schon widder do.“

Damit habe der Urgroßvater seinen Spitznamen weggehabt.

Welcher Version darf man trauen? Beide Seiten beharren auf der Richtigkeit ihrer Namenserklärung. Da es sich um sog. „narrative Geschichte“ handelt – schriftliche Quellen fehlen also –, werden es selbst gewiefte Historiker schwer haben, diesen äußerst schwierigen Fall zu klären.


Aus: Der Mundart-Kurier – Mitteilungen der Gesellschaft für Nordhessische Mundarten, Nr. 12, 2008, S. 10.


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